BERLINER MORGENPOST: Populismus rettet die Liberalen nicht - Leitartikel
Berlin (ots)
Da hat der junge Rösler mal ins Schwarze getroffen. Sein Gerede von der "geordneten Insolvenz" als Rettung Europas vor den griechischen Schuldenmachern hat der FDP unerwartet neue Sympathien beschert. Mit einem Plus von zwei Prozentpunkten überspringen die Liberalen erstmals seit Wochen im Bund wieder die Fünfprozenthürde. Der Rettungsversuch der Genscher-Partei über den Populismus, denn nichts anderes ist die Worthülse von einer vermeintlich kontrollierbaren Pleite des EU- und Euro-Partners Griechenland, ist angesichts der nicht mehr zu bestreitenden Existenzkrise der Liberalen, die vor zwei Jahren vor Kraft kaum noch laufen konnten, nachvollziehbar. Schwerwiegender als dieser Parteiegoismus ist allerdings etwas anderes: Der gestern veröffentlichte Deutschland-Trend kündet zugleich von der Sorge von immer mehr Menschen um die Stabilität des Euro und damit von der Urangst der Deutschen, dass ihr Erspartes wie Butter auf dem Toastbrot schmilzt. Wie eine Bestätigung kommt eine weitere Umfrage vom gleichen Tag daher: Mehr als achtzig Prozent der Deutschen sind mit dem Handeln der schwarz-gelben Bundesregierung in der Euro-Krise unzufrieden. Die FDP, obwohl Teil dieser Bundesregierung, trifft also den Nerv vieler Menschen, wenn sie selbst den bisherigen deutschen Schlingerkurs im Verlauf des europäischen Finanzdesasters anprangert. Aber es ist auch billig. Rösler hat zwar recht, dass es keine Denkverbote geben darf. Aber eine Regierung, die glaubwürdig sein will, die Vertrauen in einer schweren Krise wie der gegenwärtigen nach innen wie nach außen ausstrahlen muss, hat intern über eine gemeinsame Strategie nachzudenken; nicht öffentlich und dazu in gegenseitigem Widerspruch. Das verängstigt die Menschen nur weiter und lässt Börsianer noch skrupelloser spekulieren. Das müsste der Vorsitzende einer einst geachteten Wirtschaftspartei und ein dazu amtierender Wirtschaftsminister eigentlich wissen. Deshalb ist Röslers auf Griechenland bezogene Empfehlung einer geordneten Insolvenz wohl eher als Abwehrversuch eines ungeordneten Untergangs der Liberalen zu verstehen. Ein Minister, dazu der Vizekanzler, hat sich in einer existenziellen Frage dieses Landes nicht auf Kosten der Bundeskanzlerin und des Finanzministers als wichtigstem Kabinettskollegen parteipolitisch zu profilieren. Denn es geht um mehr als den Euro. Die Zukunft des geeinten Europas steht auf dem Spiel. Eine Gemeinschaft, die uns die längste Friedensperiode beschert und die nur vereint Gewicht im globalen Konkurrenzkampf hat. In diesem Sinne ist es Aufgabe auch des FDP-Vorsitzenden und Wirtschaftsministers, innerhalb der Regierung und dann mit den EU-Partnern eine tragfähige gemeinsame Strategie zur Lösung vorrangig der griechischen Schuldenkatastrophe zu suchen. Wie die am Ende auch aussieht: Am Euro wird diese Regierung trotz all ihrer Streitereien kaum zerbrechen. Vorgezogene Neuwahlen wären für alle drei Koalitionsparteien der sichere vorzeitige Abschied von der Macht. Für die FDP würden sie sogar zum Überlebenskampf. Das weiß auch Rösler. Und es zeigt ihm und seiner Partei Grenzen auf. Trotz des momentanen Punktgewinns.
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