BERLINER MORGENPOST: Entschieden wird unterm Baum
Berlin (ots)
Na endlich. Der Präsident hat gesprochen. "Das war nicht geradlinig und das tut mir leid", sagte Christian Wulff und sah dabei überzeugend mitgenommen aus. Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein Staatsoberhaupt, Politiker und Jurist zumal, derart deutlich sein Bedauern über "Irriationen" zum Ausdruck bringt. Gleichwohl passt Wulffs Abbitte zum Verlauf der gesamten Affäre. Die Erklärung kam reichlich spät, der Bundespräsident wirkt getrieben von einer nicht endenden Debatte, bisweilen ins Inquisitorische spielenden Ermittlungen in privatesten Bereichen, einer unerbittlich nahenden Weihnachtsansprache und vor allem den neuesten Enthüllungen des "Spiegels", dass der Nachfolgekredit bei der BW-Bank, aus dem Herrschaftsbereich von Parteifreund und Ministerpräsidenten-Kollege Oettinger, Konditionen bot, die noch freundschaftlicher waren als die von Unternehmer Egon Geerkens. So entsprang des Präsidenten Zerknirschungsadresse wohl weniger dem Bedürfnis, Klarheit zu schaffen, als vielmehr nackter Panik. Dazu passt, dass Wulff zeitgleich und wohl schweren Herzens Abschied nahm vom treuen Gefährten Olaf Glaeseker. Der langjährige Sprecher ging auf eigenen Wunsch, angeblich werde in seinem Privatleben recherchiert. Tatsächlich war es der letzte und wohl größte Gefallen, den Glaeseker seinem zukünftigen Ex-Herrn tat. Skandal-Theoretiker wissen: Jede Krise braucht ein Opfer, und idealerweise nicht den Chef. Im Gedonner dieses doppelten Befreiungsböllers, so hofft der Bundespräsident, würden die neuen Enthüllungen vernebelt, was wiederum einen Neuanfang zu Weihnachten ermöglichte. Natürlich hatten die Strategen im Schloss Bellevue überlegt, die Weihnachtsansprache zum Rechtfertigen und Mildeerbitten zu gebrauchen. Absehbar, dass die traditionell eher beiläufig wahrgenommenen Wortgirlanden plötzlich von nationalem Interesse erster Güte gewesen wären. Das Land hätte zwei Feiertage lang über Wulffs Performance diskutiert, womöglich wäre die Serie bis Silvester verlängert worden. So besteht die Chance, dass eine zu anschwellender Hysterie neigende Öffentlichkeit die Lust an der Jagd verliert. Schon jetzt steht fest: Kaum eine Politiker-Persönlichkeit war je so transparent wie Wulff. Der Junge aus ganz kleinen Verhältnissen, der eine tendenziell unfrohe Jugend verbrachte, der in der Jungen Union als Habenichts verlacht wurde, der drei Anläufe zum Wahlsieg brauchte, um endlich jene Anerkennung zu bekommen, nach der er sein Leben lang dürstete. Zwischen langen, ziemlich untadeligen Phasen poppte immer wieder die unkontrollierte Freude über die eigene Bedeutung auf. Wulff ist kein Berlusconi, kein Putin, weder Krimineller noch Durchtriebener, sondern vielleicht das offenste Buch, das derzeit in Gestalt eines Volksvertreters öffentlich durchgeblättert wird. Dass er nicht mal seine Schwachstellen camouflieren kann, spricht nicht unbedingt gegen ihn. Die Tage unterm Baum entscheiden, ob die Deutschen diesem Präsidenten weiterhin vertrauen wollen.
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