BERLINER MORGENPOST: Zurückzahlen statt weiterwurschteln - Leitartikel
Berlin (ots)
Die Krankenkassen sind derzeit in einer ungewohnten, ja fast noch nie da gewesenen Situation: Sie schwimmen im Geld. Weil die Konjunktur gut läuft und viele Menschen in die Sozialversicherungen einzahlen, macht die gesetzliche Krankenversicherung große Überschüsse. Soll man das Geld für schlechtere Zeiten aufheben? Oder soll es die Bundesregierung jetzt den Arbeitnehmern, Arbeitgebern und Rentnern zurückgeben? Wir erinnern uns an den Spruch "Mehr Netto vom Brutto", mit dem Union und FDP antraten. Krankenkassen seien keine Sparkassen, sagt Gesundheitsminister Daniel Bahr. Wie wahr! Doch der FDP-Politiker, dessen Partei die Bürger entlasten wollte, hat es selbst in der Hand, ebendiesen Zustand zu ändern und alte Versprechen einzulösen. Würde er den Beitragssatz senken, hätten Bürger und Unternehmen unmittelbar etwas davon - auch wenn es nicht viel Geld wäre, das sie zurückbekämen. Es geht aber ums Prinzip. In diesem Sinne sollte sich Bahr auch daran erinnern, wie er und sein Vorgänger Rösler die jüngste Gesundheitsreform verkauft haben: Da war vollmundig vom "Systemwechsel" die Rede. Künftig sollte es vor allem pauschale Zusatzbeiträge geben. Sie sollten den Wettbewerb unter den Kassen anheizen, die Finanzierung der Krankenkassen vom Lohneinkommen abkoppeln, und sie sollten - über einen steuerfinanzierten Sozialausgleich - diese Finanzierung gerechter gestalten. Wer das alles wirklich will, muss jetzt den Kassenbeitrag senken. Offenbar aber erinnert sich die Koalition nur noch ungern an ihre Pläne. Zu groß waren der Unmut in der Öffentlichkeit und der Ärger mit Pleitekassen, als erstmals kleine Zusatzbeiträge fällig wurden. Minister Bahr unternimmt alles dafür, dass keine Krankenkasse einen solchen Beitrag nehmen muss, vor allem nicht im Wahljahr 2013. Keinen anderen Zweck hat das Horten der Milliardenüberschüsse. Dass Finanzminister Schäuble nun das Steuergeld zurückhaben will, das für den Sozialausgleich gedacht war, erscheint vor diesem Hintergrund nur logisch. Ohne Zusatzbeiträge wird kein Sozialausgleich gebraucht. Bedenklicher stimmt, dass Schäuble sagt, die Krankenkassen würden zu viel Steuergeld bekommen, der jetzige Zuschuss von 14 Milliarden Euro sei "ordnungspolitisch nur schwer zu vertreten". Abgesehen davon, dass der Minister all dem selbst einmal zugestimmt hat - die Koalition muss sich endlich entscheiden, was sie will. Die gesetzliche Krankenversicherung lässt sich nur auf drei Arten finanzieren: über einkommensabhängige Beiträge, über Pauschalbeiträge, die über das Steuersystem ausgeglichen werden - oder ganz über Steuern. Bisher wollten Union und FDP die Beitragsfinanzierung weitestgehend verlassen, weil sie das System unabhängiger von der Lohnentwicklung machen wollten. Die Konsequenz wäre eine stärkere Steuerfinanzierung. Wenn Schäuble diese Zuschüsse nun kürzen will, ergibt das keinen Sinn. Während sich also der Gesundheitsminister an seinen Milliarden festhält, sägt der Finanzminister an den Stützpfeilern der Gesundheitsfinanzierung. Und die Kulisse vom angekündigten "Systemwechsel" fällt zusammen. Es wird in der Gesundheitspolitik weitergewurschtelt wie eh und je.
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