BERLINER MORGENPOST: Härtetest für die Moral - Leitartikel von Jörg Quoos
Berlin (ots)
Die Freude für Deniz Yücel, seine Familie und alle Kollegen ist berechtigt. Aber sie darf nicht vergessen machen, dass immer noch rund 150 Journalisten und Medienleute in türkischen Gefängnissen einsitzen. Yücels Freilassung ist keine Geste, die wir bejubeln müssen. Oder gar belohnen. Sie ist das Mittel einer unmenschlichen Politik, die mit Geiselnahmen politische Vorteile erzwingen will.
Dass die Türkei mit der Freilassung Yücels noch lange nicht auf dem Pfad der Tugend ist, machte am Freitag die türkische Justiz klar. Der Staatsanwalt legte seine absurde Forderung nach 18 Jahren Haft für Deniz Yücel vor. Und Richter setzten zur gleichen Zeit ein weiteres Zeichen: Sie verurteilten sechs türkische Journalisten zu lebenslanger Haft, weil sie angeblich geheime Nachrichten zum Putsch über eine Talkshow verbreitet hätten.
Die Botschaft ist klar: Die Freilassung Yücels ist nichts als ein wohlkalkulierter Gnadenakt. Alle weiteren Gegner Erdogans haben weiter das Schlimmste zu befürchten.
Gute Demokraten dürfen sich auf dieses miese Spiel der türkischen Führung nicht einlassen, und daher kommt nach der Freilassung von Deniz Yücel der wahre Härtetest für die Moral: Kämpfen die "Free Deniz"-Aktivisten weiter für die Pressefreiheit in der Türkei? Oder geht man schnell zur Tagesordnung über? Geschieht Letzteres, hätten die Feinde der Freiheit gewonnen.
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