Berliner Morgenpost: Kommentar (Sonntag) - Gewalt gegen Kinder
Berlin (ots)
In unserer Gesellschaft, jedenfalls an ihren sich verbreiternden Rändern, ist eine schleichende Re-Barbarisierung zu beobachten. Es ist ja nicht das erste Mal, dass, wie jetzt in Cottbus, ein Kind an Vernachlässigung, Hunger und/oder Misshandlungen stirbt und in der Tiefkühltruhe abgelegt wird. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Heranwachsender, wie eben erst wieder in Berlin-Marzahn, von Gleichaltrigen oder doch mit ihrer Hilfe, terrorisiert und bis an den Rand des Todes gefoltert wird. Entführung, Vergewaltigung und Ermordung von Kindern sind fast schon Dauerthema der Abendnachrichten. Das schreit geradezu nach Ursachenforschung und Erklärung. Doch der beliebte Vorwurf, die Täter seien selbst Opfer und in Wahrheit sei die Gesellschaft schuld, greift zu kurz. Unser Gemeinwesen ist mit Recht stolz auf die soziale Absicherung, die sie trotz knapper Kassen gewährt. Wer Rat und Hilfe braucht, wird sie finden. Not führt nicht automatisch zum Verbrechen. Wer dies behauptet, beleidigt alle Bedürftigen. Schuld ist immer persönlich. Und doch muss die wachsende Häufigkeit solcher erschreckenden Vorfälle zu denken geben. In der Tat weist die moderne, höchst liberale Gesellschaft Tendenzen zur Überindividualisierung auf, die asoziale Haltungen bis hin zum Verbrechen zwar nicht hervorrufen, aber doch begünstigen. Während in vormodernen Gesellschaften staatlicher und sozialer Zwang mit teilweise barbarischen Mitteln das System stabilisiert, bedarf das liberale Gemeinwesen freiwilliger Selbstbindungen, um seine soziale Aufgabe erfüllen zu können. Zur Anerkennung von Grenzen der Freiheit, Respektierung von Werten und Achtung des Lebens aber muss erzogen werden nicht nur, und nicht einmal in erster Linie, in der Schule. Wo Eltern damit überfordert sind, müssen Nachbarn aufmerken und Behörden zum Schutz der Kinder eingreifen. Zu oft mangelt es an beidem. Vor allem muss sich das nicht eben kinderfreundliche Klima in unserer Gesellschaft ändern. Kinder sind keine Belastung, sondern ein Segen. Wer sich mit Verve für den Tierschutz einsetzt (was zu begrüßen ist), aber sich schon durch Kinderlärm gestört fühlt, versündigt sich. Wer aus egoistischen Gründen keine eigenen Kinder haben will, kann nicht zu Lasten der Generation, die Kinder aufgezogen hat, Generationengerechtigkeit fordern. Nur wo Kinder gewollt und geliebt werden, finden sie Schutz.
ots-Originaltext: Berliner Morgenpost
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