Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Nach dem Brand von Ludwigshafen - Belastete Beziehungen - Leitartikel von Gerd Höhler
Essen (ots)
Die Brandkatastrophe von Ludwigshafen überschattet den heutigen Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan in Berlin. Was, wenn die Tragödie tatsächlich das Werk eines ausländerfeindlichen Brandstifters ist? Man mag sich gar nicht ausmalen, was das für die Beziehungen beider Länder und das Zusammenleben von Türken und Deutschen bedeuten würde.
Noch ist der schlimme Verdacht zwar nicht erhärtet. Aber da gab es offenbar schon früher Drohungen gegen die Familie Kaplan, da war der nie aufgeklärte Brandanschlag aus dem Jahr 2006, und da ist das mit SS-Runen auf die Fassade des Hauses aufgeschmierte Wort "Hass", das eine deutliche Sprache spricht. Kein Wunder, dass türkische Medien all das thematisieren. Die Machart mancher Berichte irritiert allerdings. Die vorschnellen Schuldzuweisungen, die pauschal antideutschen Kommentare, die Hakenkreuzbilder in einigen Istanbuler Zeitungen: Das soll wohl bewusst eine Verbindung zum Juni 1993 herstellen. Damals starben bei einem Brandanschlag auf das Haus der türkischstämmigen Familie Genc in Solingen drei Kinder und zwei junge Frauen. Die Täter, vier Jugendliche im Alter zwischen 16 und 24 Jahren, kamen aus der rechtsextremen Szene.
"Wir wollen kein zweites Solingen", sagte Ministerpräsident Erdogan, bevor er nach Deutschland reiste. Dem türkischen Ministerpräsidenten kann jedoch nicht daran gelegen sein, dass es zu Zerwürfnissen kommt wie nach dem Anschlag von Solingen. Andererseits glaubt der türkische Premier offenbar, die Stimmung daheim nicht ignorieren zu können. So ist wohl sein Ansinnen zu erklären, türkische Experten an den Ermittlungen der Brandursache zu beteiligen. Dass er damit den Deutschen unterstellt, sie könnten im Fall Ludwigshafen etwas zu vertuschen versuchen, nimmt der Premier billigend in Kauf.
Die voreiligen Beschwichtigungen mancher deutscher Politiker sind ebenso unangebracht wie die Hakenkreuz-Illustrationen in türkischen Zeitungen. In dieser Situation wollte die ARD die Stimmung nicht noch weiter anheizen und setzte den für Sonntag geplanten "Tatort" ab. Es ging um das brisante Thema Ehrenmord unter Türken - ausgerechnet in Ludwigshafen.
Verständlich sind der Zorn und die Verzweiflung, die jetzt viele Türken empfinden. Die vier Täter von Solingen übrigens, die 1993 fünf Menschen bei lebendigem Leib verbrennen ließen, sind längst wieder auf freiem Fuß. Auch das sollte man angesichts der Bilder aus Ludwigshafen bedenken.
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