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WAZ: Siemens gibt sein Handygeschäft ab: Bitteres Armutszeugnis - Leitartikel von Jürgen Frech
Essen (ots)
Es gab kaum einen öffentlichen Auftritt, bei dem der vor kurzem abgetretene Siemens-Chef Heinrich von Pierer nicht irgendwann sein Handy zückte und demonstrativ seinen Stolz über dieses Geschäftsfeld im Siemens-Imperium kundtat. Mitunter warf er es in die Luft, um es anschließend gekonnt wieder aufzufangen. Motto: Wie schön, dass wir es haben. Nun gibt der Konzern die Handy-sparte ab. Der Abschied könnte nicht bitterer, der Kulturschock nicht größer und das Armutszeugnis nicht beschämender sein. Klar war seit Monaten, dass einschneidende Maßnahmen bevorstehen würden. Viele rechneten aber mit einer Kooperationslösung, bei der Siemens zumindest einen Fuß in der Tür behalten hätte. Dass es nun nicht so kommt, ja, dass der Konzern sogar saftig draufzahlen muss, um überhaupt einen Käufer zu finden, macht die ganze Misere noch dramatischer. Hier wurde ein Vermögen verscherbelt, was nicht nur Siemens, sondern auch dem Industriestandort Deutschland gut zu Gesicht gestanden hätte. Die Alarmglocken läuteten längst, denn jeden Tag fuhr Siemens mit dem Handy eine Million Euro Verlust ein. Wichtige Trends wurden verschlafen, zum Beispiel die Foto- oder die Klappfunktion. Dabei war Siemens angetreten, um zumindest die Nummer drei hinter Nokia und Motorola zu werden. Stattdessen fielen die Münchener bei einem Produkt, das jedes Kind kennt und somit Signalwirkung für das gesamte Image hat, immer mehr zurück. Bei Siemens ist jetzt zu hören, dass der neue Eigentümer aus Taiwan mehr Erfahrung beim Mobiltelefon habe. Wie bitte? Wer ist denn seit 150 Jahren im Elektrogeschäft tätig? Wer zählt sich zu Recht übrigens zu den Wegbereitern auch der Telefonbranche? Sicher sind die Kosten in Deutschland ein Problem, aber Missmanagement ist es ebenso. Für Siemens, eine der Hauptschlag-adern der deutschen Industrie, ist es ein sang- und klangloser Rückzug.
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