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WAZ: Neues Wahlrecht in NRW: Mehr Konsequenz wäre besser - Kommentar von Rolf Potthoff

Essen (ots)

Politik ist oft eine recht abstrakte Veranstaltung.
Je höher die Ebene - Europa, Bund, Land, Kommune - und je ferner der 
Ort, an dem Entscheidungen fallen, als desto bürgerferner und 
alltagsfremder wird das Geschehen empfunden. Auch das - nicht nur 
Unzufriedenheit mit der Arbeit von Parteien - trägt zu "Parteien- 
bzw. Politikerverdrossenheit" bei. In teils kümmerlicher 
Wahlbeteiligung wirkt sich dies aus.
Man kann dem entgegenwirken. Indem Entscheidungsprozesse 
transparenter und kontrollierter angelegt werden. Aber auch, in dem 
mehr Demokratie in Wahlgesetze und ins staatsbürgerliche Leben 
fließt. Der Wähler will spüren, dass er Einfluss nehmen kann, dass 
sein Wille und seine Überzeugung zählen. Bürgerbegehren und 
-entscheid sind solche Elemente für mehr Demokratie. Denn es gibt sie
ja, das Interesse an Politik und die Lust am (politischen) Gestalten.
Zahllose Bürgerinitiativen von Leuten, die bewegen wollen, sind 
Beleg.
In diesem Sinne das Wahlrecht zu demokratisieren ist konsequent. 
Ein Zweitstimmen-System lässt Wähler bei Parteien und Kandidaten mehr
differenzieren. Wählerwille kommt stärker zum Zug. Dass in der 
NRW-SPD so mancher um Wahlchancen bangt, spricht nicht gegen die 
Reform. Es zeigt, wie sehr das sozialdemokratische Selbstbewusstsein 
im Stammland schwand.
Auch die Oberbürgermeister- von der Kommunalwahl bei längerer 
Amtszeit zu entkoppeln, signalisiert: "mehr Demokratie". Der OB muss 
sich nicht vor mächtigen Fraktionschefs und Parteiapparatschiks 
verbiegen, er hat von der Mehrheit der Bürger die Legitimation. Das 
gibt ihm Raum, Entscheidungen im Konfliktfall auch gegen seine Partei
zu treffen. Und womöglich ist das künftig gestärkte Amt auch für 
(parteiunabhängige) Seiteneinsteiger hinreichend attraktiv. Freilich:
absurd, auf die Stichwahl verzichten zu wollen. Soll ein OB, der 
weniger als 20 Prozent auf sich vereint, die Stadt steuern und sie 
repräsentieren?
Tatsächlich gibt die Reform Wählern mehr Einfluss. Sie ist 
dennoch eine halbe Sache geblieben. Denn es wird kein Panaschieren 
und Kumulieren wie in Süddeutschland geben. Deshalb auch keine 
Möglichkeit, dem Diktat der Parteilisten zu entgehen, indem Wähler 
für Kandidaten nach eigener Wahl sowie für Kandidaten 
unterschiedlicher Parteien votieren. Ferner widerspricht es guten 
Gepflogenheiten, ein solches Reformwerk, das breite politische 
Akzeptanz haben sollte, ohne die Opposition durchzuziehen. Noch mehr 
Demokratieverständnis schadete Schwarz-Gelb nicht.

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Zentralredaktion
Telefon: (0201) 804-0
zentralredaktion@waz.de

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