neues deutschland: Kommentar zum PISA-Report zur Schulzufriedenheit: Armutszeugnis
Berlin (ots)
Studien und Wahlergebnisse haben eines gemeinsam: Man kann sie stets so interpretieren, dass das Glas entweder halb voll oder halb leer ist. Welche Interpretation im öffentlichen Diskurs vertreten wird, hängt maßgeblich davon ab, welche Intention damit verfolgt wird. Ist man beispielsweise Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, wird man einer Studie, in der festgestellt wird, dass jeder sechste Schüler in Deutschland Opfer von Mobbing ist, eher so lesen, dass fünf Sechstel der deutschen Schülerinnen und Schüler sich in der Schule wohl fühlen. Der deutsche Lehrerverband hat aber auch gut reden; er ist die Standesorganisation von konservativen Gymnasial-, Realschul- und Berufsschullehrern. Für sie ist das Mobbing sozusagen Programm - sie nennen es Noten. und Leistungsdruck. Eine PISA-Studie, die zu dem Schluss kommt, dass »für manche die Schule ein Ort der Qual« ist, muss konsequenterweise von dem Verband als überflüssig betrachtet werden. Es gibt dagegen gute Gründe, die Ergebnisse der gestern in Berlin vorgestellten Sonderauswertung der PISA-Schulstudie von 2015 so zu interpretieren, dass das Glas halb leer ist - auch wenn das deutsche Schulsystem im internationalen Vergleich gut da steht. So ist es für ein Land wie Deutschland, das kinderfreundlich sein will, ein Armutszeugnis, wenn das Gemeinschafts- und Zufriedenheitsgefühl bei Schülern aus ärmeren Familien weniger ausgeprägt ist als bei finanziell besser gestellten Kindern und Jugendlichen.
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