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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur neuen Führung in China: "Das Volk bleibt auf der Strecke"

Regensburg (ots)

Es ist ein historischer Wechsel: Gerade einmal zwei Tage nach der US-Präsidentschaftswahl gibt sich die Kommunistische Partei in China selbst eine neue Führung. Eine politische Generation tritt ab, eine neue auf. Es ist das Ende der Dekade von Premierminister Wen Jiabao und Staatspräsident Hu Jintao. Ihren Nachfolgern hinterlassen sie eine wirtschaftliche Großmacht, aber auch einen über weite Strecken unerhörten Ruf nach grundlegenden Reformen. Das Gesicht der Volksrepublik und ihre Rolle in der Welt haben sich seit dem Antritt von Hu und Wen radikal verändert. Das Land hat sich zur zweitgrößten Volkswirtschaft und zur Lokomotive der Weltkonjunktur gemausert. Der Staatskapitalismus wurde in beispielloser Weise ausgebaut. In den vergangenen Jahren hat China gewaltige Devisenreserven angehäuft und sich mit milliardenschweren Staatsfonds weltweit in Schlüsselindustrien eingekauft. Weltwirtschaftlich führt heute kein Weg mehr am "Reich der Mitte" vorbei. Die China Inc. wurde in einen leistungsstarken staatskapitalistischen Betrieb verwandelt. Die einstige Werkbank der Welt kommt heute als Top-Konzern daher - gemanagt von den Spitzen der Partei. Fast im Vorbeigehen wurde der Einfluss bei Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds ausgebaut, ein Raumfahrtprogramm auf die Beine gestellt und sowohl die Olympischen Spiele als auch die Expo ins Land geholt. An offensichtlichen Erfolgen mangelt es der Bilanz von Hu und Wen somit nicht. Vieles davon wird am 8. November beim 18. Parteitag zur Sprache gebracht werden; die Fehler und Versäumnisse der beiden Technokraten hingegen wohl weniger. So bedeutete Hu Jintaos Ziel - die Harmonisierung der Gesellschaft - vor allem Zensur und Kontrolle. Die oft versprochene Rechtssicherheit lässt auf sich warten. Und während das Land einen Wirtschaftsrekord nach dem anderen feierte, hat sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter geöffnet. All das ist bedauerlich, fatal erscheint aber vor allem eines: Hu und Wen haben es zwar geschafft, die Partei zusammenzuhalten - wenngleich nur mit Ach und Krach. Sie haben es aber nicht geschafft, überfällige Reformen auf den Weg zu bringen. Rauschende Partys, Exzesse, Korruption und Mord haben zuletzt das Außenbild jener Organisation gezeichnet, deren Mitglieder sich als Elite des Landes verstehen. Skandale, wie der um den gestürzten Politstar Bo Xilai, lassen erahnen, welche Abgründe sich inmitten von Chinas Führungszirkeln verbergen und wohin die politische Klasse des Landes offenbar steuert. Wer sich die Liste der Personen durchsieht, die wohl bald in den Ständigen Ausschuss des Politbüros einziehen, dorthin, wo die Entscheidungen über Chinas Politik gefällt werden, findet vor allem die Namen von Sprösslingen des Parteiadels vor. Weder Hu noch Wen gehörten diesem an. Der Generation der Fleißarbeiter und Technokraten folgen also die reichen Söhne und Charismatiker. Die politische Oberschicht reproduziert sich selbst, häuft Macht und Reichtum an und lässt das gemeine Volk zurück. Dabei ist doch klar: Am Ende wird nicht der Ruf nach mehr Freiheits- oder Menschenrechten über Chinas Zukunft entscheiden, sondern das Ungleichgewicht zwischen "denen da oben" und "jenen da unten". Denn der Deal zwischen der Partei und dem Volk ist einfach. Die Macht der Partei wird akzeptiert, wenn sie dem Volk Wohlstand bringt. Dass der Parteiadel diese Abmachung verstanden hat, scheint zunehmend zweifelhaft. Autor: Till Lorenz

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