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Mittelbayerische Zeitung: Hasspropaganda: Jahrzehntelang haben die Behörden rechtsradikale Umtriebe unterschätzt. Das darf nie wieder geschehen. Von Reinhold Willfurth

Regensburg (ots)

Neun Übergriffe, 13 Sachbeschädigungen, 77 Aufmärsche und Kundgebungen, 35 interne Veranstaltungen, sieben Konzerte, insgesamt 166 registrierte Aktionen von Neonazis im ersten Halbjahr dieses Jahres - für das "Nationale Bündnis Oberpfalz" eine schöne Zwischenbilanz. Um "satte 16 Prozent" sei der "Nationale Widerstand" gewachsen, frohlockt der anonyme Autor auf der Website der parteifreien Neonazis in der Region, die sich im "Freien Netz Süd" (FNS) sammeln. Allerdings bejubelt der Aktivist die Lage in Thüringen. Vielleicht ist das auch der Grund, warum er seine Meldung mit einem Screenshot aus einem der zynischen "Paulchen-Panter"-Videos der NSU-Mörder garniert, die im Nachbar-Bundesland Unterschlupf und Helfer gefunden hatten. In Bayern sieht es für den "Nationalen Widerstand" bei weitem nicht so gut aus, glaubt man den Zahlen aus der Halbjahresbilanz des Verfassungsschutzes, die Innenminister Joachim Herrmann am Freitag vorgestellt hat. Eine minimale Steigerung der rechten Straftaten listet der Inlandsgeheimdienst auf - also nicht der Rede wert? So hat man lange gedacht im Freistaat. Jahrzehntelang kam die Gefahr zuerst und vor allem von links. Ein erster Warnschuss für die Politik mit entsetzlichen Folgen für die Opfer war 1980 das Oktoberfest-Attentat. Dann kam lange nichts, bis die Münchener Polizei 2003 einen gewissen Martin Wiese festnahm. Wiese wurde später zu sieben Jahren Haft verurteilt, weil er geplant hatte, am 9. November 2003, pünktlich zum 65. Jahrestag der Reichspogromnacht, das neue jüdische Zentrum in München in die Luft zu sprengen. Eine Partei wie die NPD war für Wiese übrigens nichts, er trat lieber den extremeren Kreisen von der "Kameradschaft Süd" bei. Und dann kam der Schock mit den NSU-Morden. Bayern ist das Bundesland, in dem fünf der zehn Morde geschahen. Dass die Behörden im Freistaat die Gefahren durch den Rechtsradikalismus jahrelang falsch ein- und völlig unterschätzt hat, darüber waren sich alle Parteien im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags einig. Der einstige Innenminister und Ministerpräsident Günther Beckstein nennt die Mordserie eine "Niederlage des Rechtsstaats". Es war, das muss man so sagen, auch eine Niederlage des Freistaats. So etwas wollen sich Becksteins Amtsnachfolger Hermann und Seehofer nicht nachsagen lassen. Die NSU-Morde haben die Menschen entsetzt. Keiner könnte verstehen, wenn die Machenschaften der braunen Kameraden jetzt nicht genauer unter die Lupe genommen würden. Also setzte der bayerische Innenminister im Juli mit 700 Polizisten eine Razzia unter den FNS-Führungskräften an, und das war gut so. Jetzt werden die zahlreich sichergestellten Waffen, PCs, NS-Devotionalien und Propagandamaterialien daraufhin untersucht, ob man diese freien Radikalen verbieten könnte. Es wäre höchste Zeit, denn die Kameradschaften mit Migliedern wie Martin Wiese abseits der immer mehr an Boden verlierenden und zerstrittenen NPD wollen einen Staat, der alle Werte infragestellen oder vernichten will, die uns das Grundgesetz als Leitfaden für ein friedliches Zusammenleben in diesem Land gegeben hat. Ob Hermanns Razzia die Szene "spürbar verunsichert" hat, wie er behauptet, steht freilich dahin. Auf der FNS-Website wird jedenfalls fleißig weiter gezündelt. Einer der neuen Beiträge darauf befasst sich mit der "Haßpropaganda" von Charlotte Knobloch, der Präsidentin der Israelischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Das FNS aber charakterisiert mit diesem Schmähbegriff nur einen: sich selbst.

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