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Schweriner Volkszeitung: "Die Gipfel-Idee wurde verwässert", schreibt Hans-Dietrich Genscher in einem Gastbeitrag. Der ehemalige Außenminister fordert kleinere Gipfel. Erforderlich sei eine Rückkehr zu vertraulichen Beratungen.

Schwerin (ots)

Von Hans-Dietrich Genscher
Die G8-Treffen sind ins Gerede geraten, manchmal weniger 
thematisch, als wegen der Umstände, unter denen sie stattfinden. Da 
macht Heiligendamm keine Ausnahme, bei vorangegangenen Treffen war 
das nicht anders. Die Frage ist berechtigt, muss sich etwas ändern? 
Natürlich muss es.
Die Idee einen Weltwirtschaftsgipfel zu schaffen war richtig, ist 
richtig und wird es auch in Zukunft bleiben. Die Gründerväter, der 
damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt und der damalige französische 
Staatspräsident Valéry Giscard d´Estaing hatten die richtige 
Vorstellung, dass eine gemeinsame weltwirtschaftliche Analyse und 
eine Strategiediskussion der aus ihrer Sicht wichtigsten 
Wirtschaftsnationen notwendig sei. So kam es auf Einladung des 
französischen Staatspräsidenten 1975 auf Schloss Rambouillet zu einem
Treffen der Präsidenten Frankreichs und der USA, sowie der 
Regierungschefs Deutschlands, Englands und Japans - die G5 waren ins 
Leben gerufen. Sehr bald kamen Italien und Kanada hinzu - aus G5 
wurden G7. Später, nämlich 1990, schlugen Frankreich und Deutschland 
vor, den sowjetischen Staatspräsidenten Michail Gorbatschow 
einzuladen. Das fand nicht ungeteilte Unterstützung, vor allem 
Washington und London waren zurückhaltend. Schließlich waren sie nach
langem Hin und Her bereit, Michail Gorbatschow nach Abschluss des 
offiziellen Treffens in London 1991 hinzuzuladen. London legte Wert 
darauf, dass dies auf jeden Fall nach Bekanntgabe der 
Konferenzergebnisse stattzufinden habe. Der Versuch Frankreichs und 
Deutschlands, die Position Gorbatschows in dem immer deutlicher 
werdenden Machtkampf in Moskau zu stärken, war auf weniger als dem 
halben Wege stecken geblieben.
Die ursprüngliche Idee der Gründerväter, eine vertrauliche, 
verantwortliche und substantielle Diskussion unter den 
Gipfelteilnehmern möglich zu machen, wurde zunehmend verwässert. Eine
Entwicklung begann, die man leider mit Begriffen wie Inszenierung und
Bürokratisierung beschreiben muss.
Wichtiger als die Beratungen erscheinen die Auftritte der 
Gipfelteilnehmer auf immer größeren Tribünen der Weltpresse und immer
bürokratischer wird die Vorbereitung der Gipfeltreffen. Die so 
genannten "Sherpas" ringen monatelang um die Tagesordnung und um 
immer länger werdende Kommuniqués, mit denen die Öffentlichkeit 
unterrichtet werden soll, worüber und mit welchem Ergebnis die 
Teilnehmer des demnächst stattfindenden Gipfeltreffens gesprochen 
haben werden.
Erforderlich ist jetzt eine Rückkehr zu vertraulichen Beratungen 
im kleinen Kreis. Es ist wichtig, dass man voneinander weiß, wo der 
Einzelne steht, dass man sich über Grundlinien verständigt und dass 
diese dann in den zuständigen internationalen Organisationen, Gremien
und in den multilateralen Verhandlungen umgesetzt werden. Das macht 
es überflüssig, ganze Heerscharen von Beratern mit zum Gipfel zu 
nehmen. Es muss unterstellt werden können, dass die Gipfelteilnehmer 
die behandelten Themen beherrschen. Einzelfragen können mit den 
Mitteln modernster Kommunikation schnellstens aus den 
Regierungszentralen beantwortet werden. Wichtig für die Beratungen 
ist die Teilnahme der Staats- und Regierungschefs, der Außenminister 
und Finanzminister und nicht zu vergessen der Sherpas.
Die Befreiung von Kommuniquézwang bedeutet nicht nur 
Entbürokratisierung der Treffen, sie eröffnet auch Freiräume für 
vertiefte Diskussionen.
Bemühungen der Bundesregierung um eine substantielle 
Schwerpunktbildung und Konzentration auf die Gipfeldiskussionen haben
leider nicht den gewünschten Erfolg gebracht, sie waren dennoch 
richtig und müssen weiter verfolgt werden. Diese Aufgaben liegen bei 
dem deutschen Sherpa, Bernd Pfaffenbach, in den denkbar besten 
Händen.
Eine andere Reformaufgabe, nicht weniger dringlich, liegt in der 
Erweiterung des Mitgliederkreises der Gipfeltreffen. Man darf sich 
nicht wundern, wenn die Verweigerung eines solchen Status für China 
und Indien dort als Überheblichkeit und Ignoranz wahrgenommen wird. 
Und warum wird Afrika ein solcher Status verweigert, oder auch ganz 
Lateinamerika? Auch hier hat die Bundesregierung sich um Fortschritte
bemüht und sie bleibt darum bemüht, China, Indien, Mexiko, Brasilien 
und Südafrika immer enger an den Gipfel heranzuführen. Das verdient 
auch nach Ende der deutschen Präsidentschaft die breiteste 
Unterstützung. Wenn man jetzt nicht weiterkam, so ist das nicht der 
Bundesregierung anzulasten, sondern denen, die sich in einem 
überholten, globalen Besitzstandsdenken den durch die Entwicklung 
gebotenen Einsichten verschließen. Wer in einer Zeit globaler 
Interdependenz wichtige Kraftzentren dieser Welt ausschließt, ist in 
der Gefahr sich selbst einzuschließen.
Während diese Zeilen niedergeschrieben werden, hat der Gipfel noch
nicht stattgefunden. Eines kann aber heute schon gesagt werden: Diese
jährlichen Gipfelkonferenzen sind wichtig und sie sind notwendig. Der
Vorwurf, man maße sich den Status einer Weltregierung an, ist 
unberechtigt und er bleibt unberechtigt, solange nicht der Versuch 
unternommen wird, sich an die Stelle der Vereinten Nationen oder 
anderer internationaler Institutionen zu setzten. Darüber wird in 
Heiligendamm in allem Ernst zu sprechen sein.
Richtig bleibt: In einer immer enger zusammenwachsenden Welt, also
immer stärker interdependenten Welt, sind der Versuch gemeinsamer 
Analysen und die Diskussion gemeinsamer Strategien wichtiger Akteure 
unverzichtbar. Für die Bedeutung solchen Meinungsaustausches und 
solcher wünschenswerter Verständigung ist es erforderlich, dass die 
Zusammensetzung des Gipfels nicht die Welt von gestern widerspiegelt,
sondern die Welt von heute und die Welt von morgen. Altes Denken war 
noch immer ein schlechter Ratgeber.

Pressekontakt:

Rückfragen bitte an:
Schweriner Volkszeitung
Matthias Hufmann
Telefon: +49 (0385) 63 78 553
hufmann@svz.de

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