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Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Bundespräsident Wulff ist zurückgetreten Worauf es jetzt ankommt THOMAS SEIM

Bielefeld (ots)

Die politische Klasse steckt in der Krise. Der unvermeidliche Rücktritt von Bundespräsident Christian Wulff ist dafür kaum mehr als ein Symptom. Die Leserbriefe an unsere Redaktion, die Kommentare auf unserem Internet-Auftritt, die zahlreichen Anrufe zu Regierung, Politik, Parteien - sie alle signalisieren vor allem Unzufriedenheit mit der Politik und Misstrauen gegen die Politiker. Es wächst das gefährliche Gefühl in der Bevölkerung, dass die politische Klasse vor allem der selbstverliebten Ausübung von Macht und Einfluss frönt, schlimmer noch: den eigenen Vorteil bedient. Dieses Gefühl ist falsch. Und doch hat der Rücktritt des Bundespräsidenten auch offenbart, dass es im Streit um die Zukunft dieses Landes einer neuen Qualität des politischen Handelns bedarf. Was das Land jetzt braucht, ist: Führung. Die Legitimation politischen Handelns besteht darin, den Willen des Volkes zu erkennen und in Regierungshandeln umzusetzen. Derzeit erleben wir allerdings, übrigens nicht nur in Deutschland, dass Politiker sich immer weiter von der Bevölkerung entfernen. Sie wirken oft abgelöst theoretisch, wenig interessiert an den Niederungen des Alltags. So geraten die Politik und die sie tragenden Politiker in eine Legitimationskrise. Es ist die Aufgabe der Bundeskanzlerin, aber auch der Parteiführungen, in der Regelung der Wulff-Nachfolge dazu beizutragen, dass dieser Eindruck korrigiert wird. Verantwortung. Die Entscheidung über einen neuen Bundespräsidenten darf nicht erneut zum Gegenstand von parteilichem und/oder persönlichem Machtkalkül werden. Dass dies bei den letzten beiden Präsidenten vermutlich der Fall war, hat erheblich zu deren Scheitern beigetragen. Insofern ist es ein richtiger Anfang, wenn Bundeskanzlerin Merkel in der Verantwortung für das Ganze einen Kandidaten sucht, den alle jenseits parteipolitischer Festlegungen akzeptieren können. Integrität. Für das neue Staatsoberhaupt folgt daraus eine besondere Anforderung an Charakter und Persönlichkeit. Wer dieses Amt anstrebt, muss sich selbst sehr genau prüfen, ob er den besonderen Ansprüchen genügen kann. Und auch jeder, der eine Persönlichkeit für dieses Amt vorschlägt, muss sicher sein, dass dies gewährleistet ist. Inhalt. In dem Wirbel um die Affären des Bundespräsidenten ist ein wenig untergegangen, dass Christian Wulff mit dem Integrationsthema einen bemerkenswerten Inhalt gewählt hatte, der ein Staatsoberhaupt tragen kann. Von mindestens dieser Qualität muss auch jenes Projekt sein, müssen auch jene Projekte sein, das oder die der nächste Bundespräsident oder die nächste Bundespräsidentin für sich reklamieren wird. Es gibt sicher eine Reihe von Kandidaten oder Kandidatinnen, denen man unter diesen Vorgaben das Amt zutraut. Viele Namen werden bereits genannt, einige werden noch hinzukommen. Bei der Auswahl, die die Parteien nun treffen werden, kommt es darauf allein aber nicht an. Auch der Kandidat oder die Kandidatin selbst müssen bereit sein, sich unter diesen Bedingungen dem Amt hinzugeben. Die neue Figur an der Spitze des Staates muss für das Amt da sein. Nicht das Amt für die Person. Dies zu erkennen und die richtige Wahl zu treffen - das ist die Herausforderung für die politische Klasse. Von ihrer Bewältigung hängt es ab, ob das Vertrauen der Menschen in diese Klasse zurückkehrt.

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