Gesundheitsbranche: Schlechte Zeiten für Innovationen
Frankfurt (ots)
Ein trübes Bild zeichneten die 170 Teilnehmer und Referenten der "13. Handelsblatt Jahrestagung Health" Ende November in Berlin. Wachsende Arzneimittelausgaben, Vergütungserhöhungen und nicht zuletzt der Gesundheitsfonds werden die Gesundheitswirtschaft auch künftig belasten, waren sich die Vertreter der Krankenkassen, Kliniken und Pharmafirmen einig. Doch zeigten die Referenten anhand neuer Konzepte und Ansätze auch, wo Effizienzpotenziale liegen.
Krankenkassen: Jeder Euro wird gehalten Krankenkassenvertreter sind verunsichert, was ihre Finanzsituation in den nächsten zwei Jahren betrifft. "Den Zuweisungsbescheid des Bundesversicherungsamtes (BVA) haben wir erwartet wie Eltern die Zeugnisse ihrer Kinder", so Prof. Dr. Herbert Rebscher, Vorstandsvorsitzender der DAK. Auch wenn das BVA hier "methodisch gut gearbeitet" habe, seien die Zuweisungen doch nur vorläufig und gäben wenig Sicherheit. Dr. Rolf Hoberg, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg, kritisierte, dass der Morbi-RSA auf veralteter Kostenbasis errechnet worden sei. Rebscher ergänzte: "Für 2009 die Daten von 2008 als Basis zu nehmen, wäre beherrschbar, die von 2006 zugrunde zu legen, ist ein reines Abenteuer." Klar sei, dass die neue Finanzierung durch den Gesundheitsfonds innovative Projekte in den nächsten Jahren behindern werde: "Kassen werden im nächsten Jahr alles daransetzen, jeden Euro zu halten", so Rebscher. Ein hartes Management sei zu erwarten, "Buchhalten statt Versorgen" die neue Devise. "Wir brauchen uns nicht zu wundern, dass sich alle Kassen erst mal von teuren Verträgen trennen."
Zwangspause für Innovationen Auch Prof. Dr. Norbert Klusen, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse, sieht in 2009 "kein Jahr der Innovationen". Mit Vorsorgemodellen würden Kassen vorsichtiger werden, zumal sich diese erst nach einigen Jahren auszahlten. "Der Morbi-RSA wird alles überlagern. Kassen werden vor allem ihre Marketingbudgets voll ausschöpfen." Dass der Zusatzbeitrag kommt, davon ist Klusen überzeugt: "2009 werden ihn schon einige Kassen einführen, 2010 dann umso mehr." AOK-Landeschef Hoberg dagegen glaubt, dass sich die Kassen 2009 noch zurückhalten: "Es wird doch niemand wagen, vor der Bundestagswahl eine Prämie einzufordern." Dafür komme 2010 für Versicherte das böse Erwachen. Dann müsse das Darlehen - "denn wir sprechen hier von nichts anderem als Schulden" - zurückgezahlt werden. Das gelinge nur über Kosteneinsparungen oder einen Zusatzbeitrag. Auch Rebscher glaubt, dass 2010 der Zusatzbeitrag Realität sein könne, sieht aber in diesem Instrument ein Problem: "Es zahlen doch am Ende diejenigen für die Zusatzbeiträge, die vom Nutzenmodell nicht tangiert werden. Das wird ein Riesendilemma, denn diese Menschen müssen vom Nutzen erst mal überzeugt werden." Der Nutzen werde erst spät eintreten, gleich dem Raucher, dessen Lunge sich auch erst eine ganze Weile nach Aufgabe seiner Sucht erhole. Einen Vorteil habe die Entwicklung allerdings: "Wenn erst Prämien als Mehrwertleistung vermarktet werden, wird auch inhaltliche Qualität wieder möglich."
Fusionen kommen schneller als gedacht "Das Grauen für Krankenkassen ist noch viel schlimmer, als wir hier bereden", sagte Ralf Sjuts, Vorstandsvorsitzender der BKK FTE. 60 Kassen würden bald den Zusatzbeitrag erheben, 14 Kassen kämen mit der 1-Prozent-Regel nicht aus. Kleine Kassen hätten es versäumt, sich auf die Entwicklungen einzustellen. "Die werden viel schneller zu Fusionen gezwungen sein, als sie heute denken." Schon im ersten Halbjahr 2009 erwartet Sjuts viele Zusammenschlüsse. Auch Staatssekretär Dr. Klaus Theo Schröder vom Bundesgesundheitsministerium rechnet mit erheblichen Veränderungen in der Kassenlandschaft, vor allem mit vielen Kooperationen "Ich sehe kein Problem darin, wenn es zu weiteren Zusammenschlüssen kommt." Das sei am Ende gut für alle Versicherten. Schröder geht davon aus, dass der Fonds die Ausgaben der Kassen im kommenden Jahr decken werde. Es stünden 10,6 Milliarden Euro mehr zur Verfügung als in diesem Jahr.
"Die Tendenz geht hin zum Preiswettbewerb", sagte Prof. Dr. Eberhard Wille, Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Er legt Wert auf die Feststellung, dass es auch ohne den Gesundheitsfonds einen höheren Beitragssatz gegeben hätte. Gesundheitsökonom Prof. Dr. Jürgen Wasem ergänzte: "Der Konflikt im Schätzerkreis drehte sich auch nicht um die Einnahmen-, sondern die Ausgabenseite." Ein attraktives Instrument würden auch weiterhin die Rabattverträge sein. TK-Chef Klusen berichtete, seine Kasse erwirtschafte jährlich Einsparungen von 50 Millionen Euro durch Rabattverträge im Generikasektor. Bei der DAK sei es eine ähnlich hohe Summe, bestätigte Rebscher. "Rabattverträge wirken schnell und helfen erst mal, Zusatzbeiträge zu vermeiden."
Eine Frage nach etwaigen Plänen, eine bundesweite AOK einzurichten, wehrte der Chef der AOK Baden-Württemberg Hoberg am Rande der Tagung ab: "Eine Bundes-AOK kommt solange nicht, wie es eine AOK Baden-Württemberg gibt."
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