Westfalen-Blatt: zum Thema "Nachrichten im TV":
Bielefeld (ots)
Das Fernsehen schafft Rituale im Leben von Millionen Menschen. Die Nachrichtensendungen sind ein Beispiel dafür. Für die »Tagesschau« um 20 Uhr und »heute« um 19 Uhr galt jahrzehntelang, dass sich derjenige höchst unbeliebt machte, der in dieser Zeit anrief. Es hatte gefälligst niemand zu stören. Diese Nachrichtensendungen wurden zur Institution, strukturierten den Tag und markierten den Übergang von Arbeit zu Freizeit. Die Familie saß vor dem Fernseher, sah Karl-Heinz Köpcke oder Claus Seibel zu und überzeugte sich davon, dass die Welt nicht aus den Fugen geraten war. Das waren noch Zeiten, ist man angesichts der Zahlen geneigt zu sagen, die das Marktforschungsinstitut Media Control ermittelte. Demnach schauen immer weniger Menschen die Hauptnachrichten. Besonders eingebüßt hat »heute« mit nur noch 3,23 Millionen (1992: 6,99 Millionen). Nackte Zahlen nützen wenig, wenn sie nicht eingeordnet werden. Dass weniger Menschen zur üblichen Zeit vor dem Bildschirm sitzen, bedeutet keineswegs, dass die Deutschen sich nicht mehr für Nachrichten interessieren. Sendungen wie die »Tagesschau« werden vor allem wegen ihrer Vorwarnfunktion geguckt: Die Zuschauer wollen wissen, ob eine Steuererhöhung oder ein Unwetter droht. Dass Privatsender nur wenige Zuschauer zu ihren News locken, hängt damit zusammen, dass sie mit Ausnahme von RTL diesen Bereich vernachlässigen. Im Gegensatz zu den öffentlich-rechtlichen Sendern mit ihrem Informations- und Bildungsauftrag setzen Private auf Unterhaltung. Sie kämen gar nicht auf die Idee, 43 Korrespondenten in 25 Auslandsstudios zu beschäftigen, wie es die ARD tut. Wichtiger als Qualitätsunterschiede ist folgende Tatsache: Die Möglichkeiten, Neues aus aller Welt zu erfahren, sind in den vergangenen Jahren um ein Vielfaches gestiegen. Inzwischen bringen mit N24 und n-tv zwei Nachrichtensender den ganzen Tag über nichts anderes, der Dokumentationskanal Phoenix berichtet ausführlich über Politik und Wirtschaft, die ARD selbst bringt über den Tag verteilt 20 »Tagesschau«-Ausgaben. Nachrichten gibt es zudem jederzeit im Internet und per App aufs Smartphone. Das heißt: Wer sich informieren möchte, braucht nicht mehr zwingend die »Tagesschau« um 20 Uhr dazu. Die Nachrichtenflut sorgt aber auch dafür, dass so mancher abends auf »heute« verzichtet, weil er nicht zum zehnten Mal mit der Euro-Krise behelligt werden will. Er ist schlicht übersättigt und zieht dann Unterhaltung dem Ernst der Welt vor. Dass die Hauptnachrichtensendungen weniger Zuschauer haben, liegt überdies daran, dass sich die Lebensgewohnheiten gewandelt haben. Angesichts von Früh-, Tag- und Nachtschichten enden die meisten Arbeitszeiten nicht mehr um 17 Uhr. Fazit: Die Zuschauer wollen weiterhin Nachrichten, aber nicht mehr nur um 20 Uhr und außerdem in einer verkraftbaren Dosis.
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