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CDU/CSU - Bundestagsfraktion

Schäuble: Deutschland, Frankreich und Europa

Berlin (ots)

Anlässlich des 40. Jahrestages des Elysée-Vertrages
ist heute nachfolgender Beitrag des stellvertretenden Vorsitzenden
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Wolfgang Schäuble MdB in der
Zeitschrift "Politische Meinung" (1/2003) erschienen:
Alle politischen Beobachter sind sich einig: Die
deutsch-französischen Beziehungen sind in letzter Zeit zu einer
Routine verkommen. Sie sind ohne Elan, ohne Visionen und - vielleicht
das folgenschwerste Urteil - ohne Emotion. Dieser Zustand schadet
nicht nur unseren beiden Ländern, sondern auch Europa.
Zwar mag die zahlenmäßige Sequenz der Begegnungen stimmen - allein
entscheidend aber ist die Frage, ob beiderseits des Rheins eine feste
innere Überzeugung vorherrscht, dass eine verlässliche Gemeinsamkeit
oberste Priorität haben muss, zum Wohl der Franzosen und Deutschen,
wie auch zum Wohl Europas.
Der 40. Jahrestag des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags,
der am 22. Januar nächsten Jahres feierlich begangen werden soll, und
ebenso der Konvent zur Zukunft Europas und die damit zusammenhängende
europäische Verfassungsdebatte, die jetzt in die entscheidende Phase
tritt, sind Anlass zu grundsätzlichen Überlegungen über die Bedeutung
des engen Zusammengehens mit unserem Nachbarn - dies nicht nur in
historischer Rückschau, sondern vor allem in der Perspektive der
gemeinsamen Gestaltung der Zukunft Europas.
Dabei ist vorauszuschicken, dass es nicht darum geht, etwa die
zukünftig erweiterte EU von einem Direktorium Paris-Berlin dominiert
zu sehen, sondern darum, dass die beiden bedeutendsten Mitglieder der
Europäischen Union es nur gemeinsam vermögen, die entscheidenden
Impulse für die Zukunft des Kontinents zu geben und gleichzeitig
Motor und Katalysator für deren Umsetzung zu sein.
Die Geschichte Europas war stets ganz wesentlich geprägt vom
Verhältnis Deutschland-Frankreich - in guten, wie in schlechten
Zeiten. Die Grundlagen des europäischen Einigungsprozesses wurzeln
entscheidend in der Katastrophe zweier Weltkriege. Es kann gar nicht
genug betont werden, dass sich das deutsch-französische Paar der
Herkunft seiner in den Europäischen Strukturen seit 1951 gelungenen
Verbindung und seiner Genesis immer wieder bewusst werden muss.
Verschwimmt die Tatsache der in der Sorge um Frieden und Sicherheit
in Europa erfolgten deutsch-französischen Verschwisterung aus unseren
Köpfen, könnte dies allzu leicht dazu führen, den Blick auf die
Bedeutung der Beziehung für unsere Gegenwart und Zukunft zu
relativieren.
Auch heute gibt es beim Bau unserer gemeinsamen Zukunft in Europa
zur deutsch-französischen Verständigung als tragender Säule keine
realistische Alternative. In diesem Verständnis muss unsere
bilaterale Politik stets darauf ausgerichtet sein, ein Maximum an
Gemeinsamkeiten zu definieren, denn es gilt: Ein funktionierendes
deutsch-französisches Verhältnis bedeutet für Europa Dynamik und
Fortschritt, Störungen zwischen Deutschland und Frankreich hingegen
lähmen Europa. Und auch in Zukunft werden die Interessen Deutschlands
und Frankreichs am besten in einem starken Europa zu verwirklichen
sein.
Der Elysée-Vertrag war bereits bei seinem Zustandekommen 1963
geprägt durch ein Spannungsfeld, das während der nächsten Jahrzehnte
nicht aufgelöst werden konnte: Im französischen Verständnis sollte
die enge Verbindung zu Deutschland, insbesondere auf dem Gebiet der
Verteidigungspolitik, taktisch auch in Richtung einer Alternative zur
ungeliebten Nato wirken. Nach deutscher Überzeugung hingegen sollte
der Vertrag zur Stärkung der Europäischen Gemeinschaften beitragen,
als Teil atlantischer Partnerschaft. Diese Diskrepanz im gedanklichen
Grundansatz bedeutete für das Abkommen vom ersten Tag an ein gewisses
Manko und eine Einschränkung für sein Potenzial an wirklicher
politischer Durchschlagskraft.
Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts und den damit einhergehenden
europa- und sicherheitspolitischen Weichenstellungen besteht die
Chance, dieses Spannungsverhältnis endgültig aufzuheben. Frankreich
identifiziert sich intensiver mit der Nato und war den Amerikanern
immer, wenn es darauf ankam, ein verlässlicher Partner. Und die
Bundesrepublik Deutschland bekennt sich umgekehrt klarer zur
weltpolitischen Verantwortung eines starken Europas. Die
Bundesregierung hat allerdings während des letzten Wahlkampfes die
fatale Entscheidung getroffen, die wesentliche Grundlinie deutscher
Außenpolitik zu verlassen und unsere transatlantische und auch
zugleich unsere europapolitische Berechenbarkeit und Verlässlichkeit
in Frage zu stellen. Damit läuft sie Gefahr, die nach 1989 bereits
verheilten Bruchstellen wieder aufzureißen. Da diese Politik aus rein
innenpolitischem Opportunismus erfolgt ist und keinerlei
außenpolitisch-strategisches Fundament besitzt, besteht immerhin die
Hoffnung auf baldige Korrektur.
Deutschland und Frankreich können und müssen dringender denn je
eine gemeinsame Vorstellung entwickeln von der Rolle Europas in der
Welt. Voraussetzung allerdings ist, dass ein Konsens besteht, die
Dichte der deutsch-französischen Verständigung, die Stärkung Europas
und die Verlässlichkeit der Transatlantischen Beziehungen als sich
gegenseitig fördernde Teile einer kohärenten Außen- und
Sicherheitspolitik zu betrachten und nicht als pragmatisch
gegeneinander ausspielbare Größen.
Der Verankerung dieser Grundüberzeugung von der Notwendigkeit der
deutsch-französischen Partnerschaft müssen sich Deutschland und
Frankreich in ganz besonderem Maße widmen. Sie müssen sich als Motor
sehen für ein starkes Europa, das die Interessen der Mitgliedstaaten
effizient wahrnimmt und gleichzeitig als verlässlicher und
wirkungsvoller transatlantischer Partner zu handeln vermag. Gerade
die Unterschiedlichkeit der nationalen Traditionen und Erfahrungen
Deutschlands und Frankreichs und die Verschiedenartigkeit ihres
Politikaufbaus und Staatsverständnisses, ebenso wie die stärkere
Ausrichtung Frankreichs zum Mittelmeer und nach Süden gegenüber
Deutschlands nach Norden und Osten kann immer wieder zu fruchtbaren
Verständigungen führen, die auch für unsere anderen Partner zu
akzeptablen Lösungen werden.
Eine Selbstverständlichkeit waren intakte deutsch-französische
Beziehungen nie und sie werden auch in Zukunft besonderer Pflege
bedürfen. Diese Mühe um ein funktionierendes deutsch-französisches
Miteinander wird ohne tiefere emotionale Überzeugungen und Bindungen
nicht aufzubringen sein. Demnach muss es zuvorderst darum gehen, sich
die Bedeutung einer deutsch-französischen Verständigung wieder
bewusst zu machen, den Willen zur Weiter- und Fortentwicklung unserer
Beziehungen zu formulieren und im Öffentlichen Bewusstsein zu
verankern und die aktuell vordringlichen Themen zu definieren, bei
denen Deutschland und Frankreich mit einer gemeinsamen Sicht der
Dinge Europa voranbringen können und sollen. Dabei kommt der
gegenwärtigen Diskussion zur Identität Europas und einer gemeinsamen
deutsch-französischen Sicht zu den Transatlantischen Beziehungen und
zu sicherheitspolitischen Fragen prioritäre Bedeutung zu.
Es wird heute von niemandem mehr ernsthaft in Frage gestellt, dass
Europa nach Außen geschlossener und wirksamer auftreten muss. Die
außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen, vor denen Europa
steht, sind offenkundig: Unsere Sicherheit kann bedroht sein an jedem
Punkt der Erde durch den Internationalen Terrorismus und die
unkontrollierte Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und
dazugehöriger Trägersysteme. Europa muss hierauf reagieren. Wir
dürfen uns als Deutsche, Franzosen und Europäer nicht damit abfinden,
den Amerikanern weiterhin die Hauptlast bei den militärischen, wie
auch bei den politischen und entwicklungspolitischen Bemühungen um
die Gewährleistung unserer Sicherheit zu überlassen. Wir müssen
Europa dazu bringen, den USA ein echter Partner zu sein, mit dem sie
diese Lasten teilen können. Je schwächer Europa ist, umso mehr ist es
auf die Vereinigten Staaten angewiesen. Wer die transatlantischen
Beziehungen stärken will, muss ein starkes Europa schaffen, und wer
das Aufkommen von Antiamerikanismus verhindern will, muss die
deutsch-französischen Bande stärken. So ist es deutsches und
französisches, und letztlich auch amerikanisches Interesse, dass
konkrete Initiativen ergriffen werden, um die Strukturen der
Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik entschieden zu
stärken. Die tatsächliche militärische Einsatzfähigkeit der ESVP muss
dringend Wirklichkeit werden und das Stadium der Theorie und Planung
verlassen.
Dabei sollten Deutschland und Frankreich bewusst weiter gehen in
der Koordination ihres außen- und sicherheitspolitischen Vorgehens,
als es andere EU-Partner derzeit noch vermögen. Der Erfolg des
gemeinsamen Vorgehens kann weitere Partner ermuntern, sich
anzuschließen. Für die bilateralen militärpolitischen Konsultationen
sollten keine selbstauferlegten Tabus bestehen. Es muss gemeinsam
ausgelotet werden, was über das "Gemeinsame deutsch-französische
Sicherheits- und Verteidigungskonzept" von 1996, das alle relevanten
Fragen dieses Komplexes einschließlich der Nuklearfrage enthält,
hinaus möglich ist. Ergänzungen zu den Themen Terrorismus sowie
Rüstungsexport, Abrüstung und Rüstungskontrolle bieten sich an. Zu
diesem Bereich könnte auch die Etablierung einer europäischen
Rüstungsagentur beitragen, die Forschung und Entwicklung einschließt
und die von einem politischen Gremium nach den Regeln des
Mehrheitsprinzips geführt wird. Dabei müssen die
deutsch-französischen Partner Farbe bekennen, was ihnen derartige
Initiativen wirklich wert sind. Reine Absichtserklärungen, deren
Implementierung mit Hinweis auf aktuelle Haushaltsprobleme von vorne
herein in Frage gestellt wird, schaden mehr, als sie nützen.
Wo sind die Grenzen der Europäischen Union? Auf diese Frage, die
engstens mit der Diskussion über die Identität Europas verbunden ist,
muss eine Antwort gefunden werden, die einem gemeinsamen Bewusstsein
der Europäer entspricht, die die Absorptionskapazitäten der EU nicht
sprengt, die aber auch den europäischen Staaten, die die Kriterien
von Kopenhagen erfüllen, eine realistische Perspektive bietet.
Diejenigen Staaten, die nach dem zweiten Weltkrieg unverschuldet auf
der anderen Seite des eisernen Vorhangs blieben und in ihrer
wirtschaftlichen Entwicklung auch aus diesem Grunde zurückgeworfen
wurden, haben ebenso eine europäische Zukunft verdient, wie wir. Dies
gilt insbesondere für die Länder Südosteuropas, die teilweise in
schmerzlichen Kriegen und Bürgerkriegen die Folgen jahrzehntelang
unterdrückter ethnischer und nationaler Konflikte zu durchleiden
hatten. Wie aber sehen realistische Perspektiven für die Türkei, für
Moldawien, für die Ukraine, gar für Russland aus? Deutschland und
Frankreich sollten sich dieser Frage annehmen und Konzepte
entwickeln, wie auch außerhalb einer vollen Mitgliedschaft für diese
Länder engste Beziehungen mit der EU ausgestaltet werden können. Die
daraus resultierenden Überlegungen werden für Europa ganz wesentlich
identitätsbildende Wirkung haben.
Der Konvent ist die historische Chance für die Europa, sich seiner
selbst bewusst zu werden und seinen Strukturen einen
Verfassungsrahmen zu geben, der die Union nach innen und außen
dauerhaft handlungsfähig macht. Es ist an Deutschland und Frankreich
mit bilateral abgestimmten Positionen wegweisende Entscheidungen
herbeizuführen. Es geht um nichts geringeres, als den Willen zu einer
gemeinsamen Zukunft Europas in einen Verfassungstext zu gießen.
Der Konvent zur Zukunft Europas muss ein entscheidender Markstein
auch für die deutsch-französische Kooperation werden. Beim EU-Gipfel
von Nizza wurde deutlich, dass die bisherige Methode von oft
unzulänglich vorbereiteten periodischen Gipfelkonferenzen nicht mehr
leistungsfähig genug ist, um den politischen Kraftakt der
Modernisierung des Systems zu vollbringen. Die aber ist notwendig, um
die historische Aufgabe der Osterweiterung zu schaffen. Wesentliches
Problem war aber auch, dass die Regierungen Deutschlands und
Frankreichs - und nicht nur diese - mit einem falschen Grundton
konfrontativer Verhandlungsführung das verständigungsbereite
Miteinander in der Vorbereitungsphase und auch während des Gipfels
vermissen ließen.
Der Europäische Konvent ist mittlerweile in einer entscheidenden
Phase seiner Beratungen angekommen. Mit der Vorlage einer
Verfassungsstruktur hat der Konventspräsident den Rahmen gesetzt, der
nun mit Inhalten zu füllen ist. Deutschland und Frankreich haben mit
der kürzlichen Entsendung ihrer Außenminister in den Konvent ein
Zeichen gesetzt und die Gelegenheit ergriffen, das weitere
inhaltliche Prozedere engstes bilateral abzusprechen und gemeinsam in
die Verhandlungen einzubringen. Die jüngsten deutsch-französischen
Vorschläge zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik und zur Innen-
und Rechtspolitik gehen in die richtige Richtung und nehmen Vieles
von dem auf, was im Rahmen der Europäischen Volkspartei vorbereitet
wurde und bereits im frühen Stadium die Beratungen geprägt hat.
Das deutsch-französische Engagement in der Verfassungsdebatte darf
sich jedoch nicht auf fachspezifische Fragen beschränken, sondern
muss sich auf die Grundlagen erstrecken, nach Orientierungslinien zur
Rolle Europas in unserer immer unübersichtlicher wirkenden Welt
suchen und sich an den hierfür wesentlichen Grundprinzipien
ausrichten.
Dezentralisierung ist das richtige Prinzip, das der Geschichte,
wie auch der gelebten Wirklichkeit Europas am besten entspricht. Wer
ein demokratisch legitimiertes und handlungsfähiges Europa will,
braucht eine verbindliche Regelung der Kompetenzen. Dies wird Europa
verständlicher machen und auch akzeptierter in der Bevölkerung, die
genau wissen muss, wer für was verantwortlich ist. Weil aber die
Einstellungen und Erfahrungen der Europäer so unterschiedlich sind,
muss gleichzeitig die Möglichkeit zur Regel werden, dass die zu
bestimmten Integrationsschritten Willigen und Fähigen vorangehen und
verstärkt zusammenarbeiten. Hinzukommen muss eine Vereinfachung der
Entscheidungsstrukturen sowie ein neues Gleichgewicht der gemeinsamen
Institutionen. Nur so wird sich das Legitimationsdefizit in der EU
abbauen lassen.
Ein besonderes Augenmerk muss auf die öffentliche Debatte gelegt
werden, die die Menschen für das europäische Einigungswerk und für
die Notwendigkeit eines Verfassungsvertrags gewinnen soll. Europa
braucht diese Debatte, da es letztlich nur so eine wirklich
tragfähige und belastbare innere Legitimierung gewinnt. Und Europa
braucht diese Debatte auch, weil sie die Bevölkerung der gemeinsamen
Europäischen Identität bewusst werden lässt - eine Identität, die
nicht nur auf der gemeinsamen Geschichte des Kontinents gründet,
sondern vor allem die gemeinsamen Vorstellungen sichtbar macht, mit
welchen Werten und Orientierungen wir Europäer unter den Bedingungen
der Globalisierung Zukunft zu gestalten beabsichtigen.
Die Legitimierung des deutsch-französischen Anspruchs, bei all dem
gemeinsam und auch beispielgebend voranzuschreiten, findet sich in
der Gestaltungskraft, die das Zusammenwirken Deutschlands und
Frankreichs für Europa hat. Gemeinsam wurden bereits bislang so gut
wie alle wesentlichen Integrationsschritte der Europäischen Union
vorbereitet und möglich gemacht. Jetzt geht es darum, gemeinsam Wege
zur weiterführenden Vertiefung und Modernisierung der Union zu
finden, den Mehrwert für alle Partner zu verdeutlichen und deshalb im
gewissen Sinne auch vorzuleben. Deutschland und Frankreich müssen ein
Beispiel für das Mögliche zu geben, sie müssen gewissermaßen den
"Kern des Kerns" bilden, um mit der von ihnen entfalteten Dynamik
unsere Partner je nach deren Möglichkeiten, Fähigkeiten und
politischem Willen vom Mitmachen zu überzeugen - um Europa nach innen
handlungsfähiger zu machen und als verantwortlichen weltpolitischen
Akteur zu stärken.
Der 40. Jahrestag des Elysée-Vertrags kann in Erinnerung bleiben,
wenn es gelingt, ihn mit visionärer politischer Substanz zu füllen.
Neben der erstmals in der europäischen Geschichte geplanten
gemeinsamen Sitzung einer deutschen und französischen Volksvertretung
sollten zukunftsweisende Initiativen entwickelt werden, die das im
Freundschaftsvertrag Erreichte festigen, und richtungweisende
Gedanken für das weitere Zusammengehen der beiden Länder, wie auch
für die Zukunft Europas.
Wir sollten die vorhandenen Institutionen der
deutsch-französischen Kooperation so stärken und ergänzen, dass der
Prozess der politischen Willensbildung in beiden Ländern eng und sehr
frühzeitig miteinander verzahnt wird und Regeln vereinbart werden,
die einen größtmöglichen Druck hin auf gemeinsame Entscheidungen
bewirken. Die deutschen und französischen Parlamente sollten
beispielhaft zusammenarbeiten und an der Gesetzgebung mit gemeinsamen
Gremien mitwirken. Gedacht werden könnte auch an die Einrichtung
gemeinsamer, grenzüberschreitender Wahlkreise für die Wahlen zum
Europäischen Parlament. Auf Regierungsebene wäre die Rolle der
bislang eher im Hintergrund beratend wirkenden Koordinatoren und
Berater dringend neu zu definieren. Dieses Instrument kann nur dann
wirklich effektiv werden, wenn politisch bedeutende Persönlichkeiten
voll in den Informationsfluss und den Willensbildungsprozess der
Regierungen einbezogen werden und in allen das wechselseitige
Verhältnis betreffenden Fragen Initiativen zu ergreifen vermögen. Der
Beamtenaustausch sollte drastisch ausgeweitet werden und die Bundes-
und Landes-, bzw. Regionalebene ebenso umfassen, wie unsere
Vertretungen bei Multi- und Supranationalen Organisationen. Als Ziel
sollte auch die grundsätzlich gemeinsame Vorbereitung der nationalen
und europäischen Positionen in multilateralen Foren angestrebt
werden. In diesem Zusammenhang wäre eine gemeinsame Politik
Frankreichs und Deutschlands in den Vereinten Nationen, vor allem im
Sicherheitsrat, von größter Bedeutung.
Die aktuellen Diskussionen über die Kriterien der europäischen
Stabilitätspolitik, ebenso wie über die zukünftige Finanzierung der
Gemeinsamen Agrarpolitik und der Strukturpolitik der Europäischen
Union zeigen die Notwendigkeit auf, einen wirklichen Dialog zwischen
beiden Ländern über die Grundlagen der Wirtschaftspolitik zu führen.
Es geht dabei auch darum, wie im gegebenen Rahmen der Globalisierung
eine gerechte Balance von liberaler Wirtschaftsordnung und
solidarischer Gesellschaftsordnung hergestellt werden kann. Eine
deutsch-französische Vision, die unsere Verantwortung umfasst, die
nicht-westliche Welt auch um unserer gemeinsamen Sicherheit Willen
nicht abzuhängen, könnte richtungsweisend wirken und der Europäischen
Union auch im Rahmen der aktuellen Welthandelsrunde zu einer
dynamischen und modernisierenden Rolle verhelfen.
Das Wesen und der innere Wert der deutsch-französischen
Beziehungen wird davon bestimmt bleiben, wie sehr die gemeinsame Idee
von der Bevölkerung verinnerlicht wird. Der Elysée-Vertrag hat hierzu
ein wichtiges Instrumentarium geschaffen. Über das Erreichte, an dem
das Deutsch-Französische Jugendwerk einen außerordentlich großen
Anteil hat, hinaus sollten jetzt neue, ehrgeizige Ziele gesetzt
werden. Dabei kommt dem Erlernen der Sprache eine zentrale Bedeutung
zu. Französisch, beziehungsweise Deutsch sollte an möglichst allen
Schulen etabliert werden, ein mehrmonatiger Aufenthalt im Partnerland
sollte für die Mehrzahl der Schulabgänger zur Regel werden,
Hochschulen und Forschungseinrichtungen auf breiter Ebene
verschwistert und eine durchgehende Anerkennung von Schul- und
Berufszugangszeugnissen angestrebt werden. Derartige, mit
entsprechendem Nachdruck geförderte Initiativen dürften unmittelbar
auch eine verstärkte Ausrichtung der Medien, wie auch der Wirtschaft
und Industrie auf das Nachbarland und auf die Themen und
Möglichkeiten des Miteinanders bewirken. Die Politik sollte dem
Potenzial der zivilgesellschaftlichen Kooperation noch mehr Raum
geben und Öffnungen schaffen, auch was beispielsweise die bilaterale
Medienpolitik oder die Förderungsmöglichkeiten grenzüberschreitender
Wirtschaftsregionen anbelangt.
Es geht also für Deutschland und Frankreich anlässlich des 40.
Jahrestags des Elysée-Vertrags darum, für die gemeinsame Zukunft in
einem modernen Europa eng zusammenzustehen. Dabei müssen die
politischen Schritte und Initiativen von der wirklichen Überzeugung
über die Bedeutung des Miteinanders motiviert sein - und zwar auf der
Ebene der politischen Entscheidungsträger, wie auch der Bürger
Frankreichs und Deutschlands. Adenauer und De Gaulle haben dies in
ihrer gemeinsamen Erklärung zum Elysée-Vertrag 1963 eindrucksvoll
beschrieben. Nach ihren Worten geht es um das "...Bewusstsein, dass
eine enge Solidarität der beiden Völker sowohl hinsichtlich ihrer
Sicherheit als auch hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen und
kulturellen Entwicklung miteinander verbindet..." und um die
"...Erkenntnis, dass die Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen den
beiden Ländern einen unerlässlichen Schritt auf dem Wege zu dem
vereinigten Europa bedeutet, welches das Ziel beider Völker ist." Der
40. Jahrestag sollte Anlass sein, genau dies neu zu beherzigen.

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