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Die Hoffnung kehrt zurück nach Afghanistan - aber Deutschland verliert an Ansehen - Große Umfrage von WDR/ARD und internationalen Partnern zeigt breiten Stimmungsumschwung

Köln (ots)

Die Hoffnung auf stabilere politische Verhältnisse,
eine Schwächung der Taliban und spürbare Verbesserungen im 
alltäglichen Leben haben einen kräftigen Stimmungsumschwung in der 
afghanischen Bevölkerung bewirkt. Das ist das überraschende Ergebnis 
der neuen repräsentativen Umfrage von WDR/ARD und seinen Partnern ABC
und BBC unter 1554 Afghanen. Verschlechtert hat sich die Lage dagegen
in den Einsatzgebieten der Bundeswehr im Norden und Nordosten. Und 
die Luftangriffe auf die Tanklastzüge in Kundus hinterlassen Spuren.
Trotz anhaltender Gewalt, Armut, Korruption und vieler anderer 
drängender Probleme blickt eine große Mehrheit der Afghanen erstmals 
seit Jahren wieder optimistisch in die Zukunft.
In der fünften gemeinsamen Umfrage von WDR/ARD und seinen Partnern
ABC und BBC sehen 70 Prozent der Menschen ihr Land auf dem richtigen 
Weg - ein Anstieg um 30 Prozent gegenüber der letzten Untersuchung 
vor einem Jahr. Ebenso viele Afghanen sind überzeugt, dass es ihnen 
im nächsten Jahr besser gehen wird. Und mit Blick auf die 
langfristige Zukunft glauben 61 Prozent der Befragten, dass es ihre 
Kinder einmal besser haben werden - auch das eine deutliche 
Verbesserung gegenüber der letzten Umfrage (+ 14 %).
"Auf den ersten Blick scheinen die Ergebnisse zu schön um wahr zu 
sein und widersprechen komplett der politischen Debatte in 
Deutschland," meint Arnd Henze, der als stellvertretender 
Auslandschef des WDR die Umfrage betreut hat. "Der Blick auf die 
Umfrage mit ihren mehr als 100 Einzelfragen zeigt aber, dass die 
Afghanen ganz anderen Entwicklungen Beachtung schenken, als wir in 
Europa und den USA."
Trotz Wahlfälschungen froh über Ergebnis
Einen ersten wichtigen Ansatz bietet die Sicht auf die 
Präsidentschaftswahlen im August. Zwar sieht eine große Mehrheit der 
Befragten, dass es bei den Wahlen (56 %) und bei der Auszählung
(59 %) Unregelmäßigkeiten gab. Gleichwohl sind drei von vier Afghanen
mit dem Wahlausgang zufrieden. Während sich die Aufmerksamkeit im 
Ausland ganz auf die massiven Wahlfälschungen und die Forderung nach 
einem zweiten Wahlgang konzentrierte, sind die Afghanen vor allem 
froh, dass der von Gewalt, massiven Drohungen und Einschüchterungen 
begleitete Wahlprozess überhaupt zu einem Abschluss gefunden hat. 
"Hier verbindet sich die Erleichterung darüber, dass ein drohendes 
Machtvakuum und die Gefahr eines Bürgerkrieges verhindert wurden, mit
der pragmatischen Einstellung, dass Korruption ohnehin ein prägender 
Bestandteil des afghanischen Alltags ist.". so Arnd Henze. Immerhin 
halten 95 Prozent der Afghanen Korruption für ein drängendes Problem.
Hamid Karsai geht jedenfalls mit einem breiten Vertrauensvorschuss
in seine zweite Amtszeit. Drei von vier Afghanen sagen, er leiste 
gute Arbeit und trauen ihm zu, Sicherheit und Stabilität im Lande zu 
verbessern. Und auch andere staatliche Einrichtungen wie die 
afghanische Armee (70 %) und die Polizei (61 %) erfahren eine 
Zustimmung, die vermutlich mehr auf dem Prinzip Hoffnung als auf der 
tatsächlichen Leistungsfähigkeit dieser Institutionen beruhen.
Ein zweiter Faktor für den Stimmungsumschwung ergibt sich aus einigen
spürbaren Verbesserungen in den alltäglichen Lebensbedingungen der 
Menschen. Das wird vor allem bei der Stromversorgung deutlich: Hatte 
vor einem Jahr noch eine große Mehrheit gar keinen oder nur 
stundenweise Zugang zu Elektrizität, sind weite Teile des Landes seit
kurzem an ein funktionierendes Leitungsnetz angeschlossen. 
Entsprechend wird dieser Bereich inzwischen von doppelt so vielen 
Befragten (39 %) positiv bewertet wie noch vor einem Jahr (19 %). 
Strom erleichtert nicht nur das tägliche Leben in den 
Privathaushalten, sondern schafft auch Möglichkeit, Kleinbetriebe zu 
starten und Jobs zu schaffen. Zwar ist es mit 41 % immer noch eine 
Minderheit, die den Zugang zu Jobs und wirtschaftlichem Aufstieg 
positiv bewertet - vor einem Jahr waren die Werte aber noch um ein 
Drittel niedriger (29 %). Positive Veränderungen zeigt die Umfrage 
auch bei der Versorgung mit bezahlbaren Lebensmitteln (+ 3 auf 66 %),
beim Straßenbau und übrigen Infrastruktur (+ 9 auf 51 % positiv), bei
den Möglichkeiten, sich frei im Land zu bewegen (+ 5 auf 66 %) sowie 
bei den Frauenrechten (+ 4 auf 63 %). Keine Verbesserung gibt es nach
wie vor bei der medizinischen Versorgung (52 %) und beim Zugang zu 
sauberem Wasser (64 %). Gegen den allgemeinen Trend verschlechtert 
hat sich die Bewertung der Bildungsmöglichkeiten (- 6 % auf 71 %), 
die in früheren Umfragen immer besonders positiv heraus stachen.
Bemerkenswert ist, dass die Verbesserungen im alltäglichen Leben 
nicht mit der internationalen Entwicklungshilfe in Verbindung 
gebracht werden. Nur gut jeder vierte Befragte (28 %) gibt an, 
persönlich von internationaler Hilfe profitiert zu haben. Gleichwohl 
wünschen sich 75 Prozent der Afghanen eine starke Präsenz 
ausländischer Hilfsorganisationen in ihrem Land.
US- und NATO-Truppen weiter unbeliebt - aber Unterstützung für 
Obamas Strategie
Ein dritter Bereich, in dem sich vorsichtiger Optimismus breit 
macht, betrifft den militärischen Konflikt mit den Taliban und 
anderen Aufständischen. Sahen vor einem Jahr noch 43 Prozent der 
Afghanen eine Stärkung der Taliban, so ist dieser Wert heute auf 30 
Prozent gesunken, während eine Mehrheit von 40 Prozent meint, die 
Aufständischen seien geschwächt. Damit wächst die Hoffnung, die 
Taliban könnten besiegt (+ 9 auf 41 %) oder in eine 
Verhandlungslösung eingebunden (unv. 33 %) werden. Von einem 
wachsenden Teil der Afghanen (+ 13 auf 37 %) wird auch das Vorgehen 
Pakistans gegen die Taliban im Grenzgebiet als positiv wahrgenommen.
Deutlich verändert haben sich dadurch die Schuldzuweisungen für 
die anhaltende Gewalt im Lande. Inzwischen sehen zwei Drittel der 
Befragten die Verantwortung bei den Taliban und Al Kaida, während nur
noch 10 Prozent die Schuld bei USA und NATO sehen.
Noch immer ist die Haltung gegenüber USA und NATO aber 
grundsätzlich sehr kritisch. Der Rückhalt in der Bevölkerung liegt 
bei rund 40 Prozent, eine deutliche Mehrheit von rund 60 Prozent 
bescheinigt USA und NATO, ihre Aufgaben schlecht zu erledigen. Dass 
sich die Kritik dabei weniger auf die Anwesenheit als solche als auf 
das konkrete Verhalten des Auslands richtet, wird in der Bewertung 
der neuen Strategie von US-Präsident Obama deutlich: 60 Prozent der 
Afghanen befürworten eine befristete Aufstockung der internationalen 
Truppen, große Mehrheiten unterstützen zugleich die politischen 
Zielsetzungen der neuen Politik und sind mehr oder weniger 
zuversichtlich, dass sie erreichbar sind. Dieser Optimismus ist 
insofern bemerkenswert, als die vor einem Jahr angekündigte 
erstmalige Truppenerhöhung unter Obama noch auf breite Ablehnung in 
der Bevölkerung gestoßen war.
"Offensichtlich wächst der Eindruck, dass die US-Truppen es 
einerseits tatsächlich schaffen, die Taliban aus umkämpften Provinzen
zu verdrängen und andererseits zunehmend bemüht sind, zivile Opfer zu
vermeiden", erklärt Arnd Henze. Auffallend ist jedenfalls, dass die 
Menschen in den umkämpften Provinzen im Südwesten und Osten längst 
nicht mehr einheitlich auf Konfrontation zu den USA, der NATO und der
Regierung von Präsident Karzai gehen. Vor allem in Kandahar gibt es 
in vielen Fragen einen überdurchschnittlichen Stimmungsumschwung - 
die Provinz Helmand liefert dagegen weiter ein extrem trostloses 
Bild.
Gegen den Trend: Deutschland wird unpopulärer
Während sich die Einstellung zu den USA auf niedrigem Niveau 
leicht verbessert hat, zeigt die Umfrage einen spürbaren 
Ansehensverlust für Deutschland, das in der Vergangenheit immer 
herausragend gute Bewertungen bekam. Das gilt sowohl für die 
allgemeinen Sympathiewerte als auch für die Einschätzung der 
konkreten Rolle in Afghanistan. In den Provinzen des Nordens und 
Nordostens, wo die Einsatzgebiete der Bundeswehr liegen, ist die Zahl
der Menschen, die ein positives Bild der Deutschen haben, um 11 
Punkte auf 63 Prozent zurück gegangen, während sich die Zahl der 
Afghanen mit einem negativen Bild mehr als verdoppelt hat (+ 17 auf 
31 %) Was das konkrete Handeln angeht, wird die deutsche Rolle nur 
noch von 31 Prozent der Befragten positiv beurteilt (- 11 %), während
die übrigen Befragten Deutschlands Rolle neutral (41 %) oder negativ 
(19 %) bewerten.
Arnd Henze: "Hier zeigt ganz offensichtlich die innerafghanische 
Debatte um die vielen zivilen Opfer bei dem Luftangriff auf die 
beiden Tanklastzüge in Kundus Wirkung. Deutschland wird zunehmend als
ganz normaler Teil der Kriegsrealität wahrgenommen." So geben 40 
Prozent der Befragten im Verantwortungsbereich der Bundeswehr an, das
Bemühen von NATO und ISAF bei der Vermeidung ziviler Opfer habe sich 
verschlechtert.
Insgesamt zeigt sich in diesen Provinzen auch in anderen Bereichen
eine deutlich gegenläufige Tendenz zum landesweiten Trend. 
Beschrieben vor einem Jahr noch 72 Prozent in den nordöstlichen 
Provinzen, zu denen Kundus gehört, ihre Sicherheitslage als positiv, 
so ist der Wert heute auf 43 Prozent gesunken (-29 %) - und liegt 
damit erstmals unter dem Landesdurchschnitt. Auch in den Bereichen 
Schulbildung (-10 %), Zugang zu sauberem Wasser (- 11 %) sowie in der
Bewegungsfreiheit (- 21 %) hat sich die Lage in dieser Region gegen 
den Trend deutlich verschlechtert. Positiv werden allerdings wie im 
ganzen Land die Verbesserung der Stromversorgung (+ 33 % auf 49 
Prozent) und die Chance, einen Arbeitsplatz zu finden (+ 19 auf 49 
%), bewertet.
Eine gute Nachricht für die Soldaten von Bundeswehr und NATO: die 
Einstellung der Afghanen zu Anschlägen auf ausländische Truppen hat 
sich komplett verändert: hielt vor einem Jahr noch jeder vierte 
solche Anschläge für gerechtfertigt, so ist der Wert in der neuen 
Umfrage auf 8 Prozent zurück gegangen - der niedrigste je gemessene 
Wert. Vor allem in den umkämpften Provinzen wie Kandahar, wo vor 
einem Jahr noch eine Mehrheit Anschläge für gerechtfertigt hielt und 
die Stimmung immer noch sehr ablehnend gegenüber den ausländischen 
Truppen ist, sind die Werte in den einstelligen Bereich zurück 
gegangen. Arnd Henze: "Gerade die Antworten auf diese Frage machen 
eines deutlich: die Afghanen sind der Gewalt in ihrem Lande 
überdrüssig und entschlossen, den Kreislauf von Gewalt und Vergeltung
für zivile Opfer zu durchbrechen".
Die Stimmung ist besser als die Lage
Die neue Umfrage von WDR/ARD und Partnern zeichnet ein deutlich 
anderes Bild als die letzte Untersuchung vor einem Jahr. Ohne Zweifel
kommt in den extrem positiven Werten für Präsident Karsai und die 
staatlichen Institutionen wie Armee und Polizei eine Menge 
Wunschdenken zum Ausdruck. "Im Moment scheint die Stimmung in 
Afghanistan besser zu sein als die Lage", meint Arnd Henze. "Aber 
Hoffnungen können Veränderungswillen entfalten und eine neue 
Aufbruchsstimmung schaffen."
WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn, der die Umfrage am Montag in 
den ARD-Tagesthemen vorstellen und einordnen wird, sieht in den 
repräsentativen Ergebnissen der mehr als 1500 Interviews wichtige 
Hinweise für die internationale Afghanistan-Konferenz Ende Januar in 
London: "Mit dieser Umfrage geben wir den Afghanen selbst eine Stimme
- mit ihren sehr konkreten Problemen und ihren ebenso konkreten 
Erwartungen, wie sich ihr Land zum Besseren wenden kann. Die 
Konferenz sollte nicht unter der falschen Annahme stattfinden, dass 
sich in Afghanistan nichts zum Besseren wenden kann und es nur noch 
darum geht, schnell herauszukommen."
Die Umfrage von ARD, ABC und BBC basiert auf der Befragung von 
1554 repräsentativ ausgewählten Afghanen in allen 34 Provinzen. Sie 
wird am Montag, 11.01.2010, um 12.00 Uhr zeitgleich in New York, 
London und Köln veröffentlicht. Durchgeführt wurde die Studie mit 
fast 100 Fragen im Dezember 2009 in persönlichen Interviews von 168 
ausgebildeten Befragern des "Afghan Center for Socio-Economic and 
Opinion Research" (ACSOR). Die Befragung erfolgte in der jeweiligen 
Stammessprache - wobei Frauen nur von Frauen interviewt wurden. 
Frühere gemeinsame Umfragen wurden bereits drei Mal für den Emmy 
Award nominiert und erhielten zwei Mal die bedeutende 
Fernseh-Auszeichnung. Die statistischen Abweichungen der landesweiten
Ergebnisse können bei max 3 % liegen.

Pressekontakt:

Arnd Henze, WDR-Programmgruppe Ausland, Telefon 0221 220 2382
arnd.henze@wdr.de
Annette Metzinger, WDR-Pressestelle, Telefon 0221 220 2770
annette.metzinger@wdr.de
www.presse.wdr.de

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