Das Erste, Donnerstag, 5. Dezember 2002, 20.15 - 21.00 Uhr
MONITOR:
Keine Entwarnung bei Krebsgift Acrylamid
Köln (ots)
Wissenschaftler fordern hochbelastete Lebensmittel endlich aus dem Handel zu nehmen/Auch Diätprodukte stark belastet
Viele Lebensmittel im deutschen Einzelhandel weisen entgegen der heutigen Entwarnungen des Verbraucherschutzministeriums noch immer extrem hohe Acrylamid-Werte auf. Das berichtet das ARD-Magazin MONITOR in seiner morgigen Ausgabe (ARD, Donnerstag, 20.15 Uhr). In einer von MONITOR in Auftrag gegebenen Untersuchung fand ein staatlich zertifiziertes Lebensmittellabor Acrylamid-Werte bis zu 2500 µg/kg Lebensmittel. Schwedische und amerikanische Wissenschaftler gehen aufgrund von Tierversuchen davon aus, dass bei einem täglichen Verzehr von nur einem Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht bereits mit bis zu zehn zusätzlichen Krebsfällen pro tausend gerechnet werden muss. Neben Chips (bis zu 1740 µg/kg), Keksen (bis zu 820 µg/kg) und Knäckebrot (bis zu 930 µg/kg) wiesen bei der MONITOR-Untersuchung vor allem Diätprodukte Höchstwerte auf. So fand sich bei Butterkeksen des gleichen Herstellers in der Diätvariante eine dreimal höhere Acrylamid-Belastung (2570 µg/kg) als in den gleichen mit Zucker und Invertzucker gebackenen Keksen (820 µg/kg).
Immer mehr Wissenschaftler kritisieren inzwischen das Vorgehen der Bundesregierung, die heute noch einmal ankündigte, weiter auf eine freiwillige Kooperation mit der Lebensmittelindustrie zu setzen. So hält es der Kieler Toxikologe Hermann Kruse für "unverantwortlich", dass der Bevölkerung weiter derart hohe Werte zugemutet werden. Kruse zu MONITOR: "Behörden und Politiker sind aufgefordert, hochbelastete Nahrungsmittel sofort aus dem Handel zu nehmen". Kritik gibt es von Seiten der Wissenschaft auch an der Informationspolitik der Bundesregierung. Der Kölner Pharmakologe Professor Edgar Schömig zu MONITOR: "Ich kann das Verbraucherministerium nicht verstehen, dass es bei den Herstellern nicht Ross und Reiter nennt. Dann könnte der Verbraucher wenigstens selbst entscheiden, welches Risiko er eingeht."
Beunruhigend finden Wissenschaftler auch die hohen Werte, die MONITOR in Diätprodukten gefunden hat. Der Nürnberger Pharmakologe Professor Fritz Sörgel: "Man weiß, dass Acrylamid auch das Nervensystem schädigt. Wenn jetzt hohe Acrylamidmengen bei Diabetikern gefunden werden, die von Hause aus eine gewisse Schädigung des Nervensystems durch ihre Erkrankung haben, dann kann das zu unkontrollierten Reaktionen führen."
Auch die Verbraucherorganisation Foodwatch hält ein rechtliches Eingreifen der Bundesregierung für überfällig und möglich. "Der rechtliche Ermessensspielraum ist da. Man muss nur auch den Mut haben, ihn zu nutzen."
Redaktion: Karin Führ
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