Neue Enthüllungen um den Bonner Kinderpsychiater Michael Winterhoff
Köln (ots)
Exklusive WDR-Recherchen bringen im Fall des Bonner Kinderpsychiaters Michael Winterhoff neue, brisante Details ans Licht. Winterhoff behandelte in seiner Praxis deutlich mehr Kinder und Jugendliche als ein Kinderpsychiater durchschnittlich in Deutschland. Während bundesweit im dritten Quartal 2023 im Schnitt 298 Patienten pro Quartal betreut wurden, waren es bei Winterhoff deutlich mehr - rund 800. Eltern und ehemalige Patienten berichten von kurzen Arztbesuchen, bei denen er Diagnosen nach wenigen Minuten stellte. Michael Winterhoff erklärt, auch dann eine ausreichende individualisierte Diagnostik vorgenommen zu haben, wenn von ihm täglich mehrere Untersuchungen vorzunehmen waren.
Der Arzt, ehemals erfolgreicher Bestsellerautor, gefragter Redner und Talkshow-Gast muss sich seit heute vor dem Bonner Landgericht verantworten. Ihm wird vorgeworfen, in 36 Fällen durch die Verabreichung von Medikamenten gefährliche Körperverletzung verursacht zu haben. WDR und Süddeutsche Zeitung hatten 2021 aufgedeckt, dass Winterhoff Kindern und Jugendlichen über Jahre sedierende Medikamente verschrieben hatte. Das mutmaßliche System aus fragwürdigen Diagnosen und massenhafter Verordnung von Psychopharmaka wie Pipamperon steht nun im Zentrum des Gerichtsprozesses.
Antiparkinson-Medikament gegen Nebenwirkungen von Pipamperon
Dem WDR vorliegende Dokumente legen nahe, dass Michael Winterhoff Nebenwirkungen seiner Medikation möglicherweise wissentlich in Kauf nahm. Mitarbeitende der Jugendhilfeeinrichtung „Kleiner Muck e.V.“ in Bonn dokumentierten bereits 2011 und 2012 auftretende Nebenwirkungen wie „verdrehte Augen“ und „Schiefhaltung des Kopfes“. Statt das Medikament abzusetzen, verordnete Winterhoff Kindern offenbar zusätzlich das Antiparkinson-Mittel Akineton, um die Symptome zu lindern. Fachleute kritisieren, dass Pipamperon trotz der Nebenwirkungen nicht abgesetzt wurde, was die Langzeitfolgen für die Kinder verstärkt haben könnte.
Auch in der kooperierenden Einrichtung „Michaelshof Broxten gGmbH“ in Niedersachsen soll Michael Winterhoff das Antiparkinson-Mittel bei Nebenwirkungen eingesetzt haben. Eine Apothekerin aus der Region, die bis 2021 Rezepte von Michael Winterhoff belieferte, meldete ihre Bedenken sogar der Apothekerkammer.
Kooperation mit Jugendhilfeeinrichtungen
Winterhoff arbeitete über Jahrzehnte eng mit Jugendhilfeeinrichtungen zusammen, die seine Diagnosen und Medikation unterstützten – offenbar auch bei Kindern, die unter deutlichen Nebenwirkungen litten. Zeugen berichten von lethargischen Kindern, die während des Unterrichts einschliefen.
Pipamperon wurde in knapp 900 von 3.093 untersuchten Fällen von Michael Winterhoff verordnet – das sind rund 29 Prozent. Der Kinderpsychiater argumentierte, die Kinder seien so "besser erreichbar". Er habe das Medikament nur bei eindeutiger Indikation verordnet, wenn Patienten sozial nicht mehr ansprechbar oder schulunfähig waren.
Michael Winterhoff weist die Vorwürfe zurück. Es gebe keine Beweise, dass seine medikamentöse Behandlung Schäden verursacht habe. In keinem Fall sei es zu einem dauerhaften pathologischen Zustand bzw. einer Körperverletzung gekommen. Er habe keine Nebenwirkungen, insbesondere Sedierungen, bewusst in Kauf genommen, sondern vermieden. Medikamente habe er nur nach ordnungsgemäßer Aufklärung der Sorgeberechtigten sowie medizinischer Indikation eingesetzt. Er hält die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft für unbegründet und wird sich gegen diese verteidigen. Bis zu einem rechtskräftigen Urteil gilt die Unschuldsvermutung. Der Prozess ist für 40 Verhandlungstage bis Ende Juli angesetzt.
Die dreiteilige Dokuserie „Der Kinderpsychiater – Die Macht des Dr. Winterhoff“ von Nicole Rosenbach, die ab dem 12. Februar, 18:00 Uhr in der ARD-Mediathek verfügbar ist, beleuchtet die Hintergründe dieses Falls. Zusätzlich wird der Dreiteiler am 24. Februar um 23:00 Uhr im Ersten ausgestrahlt.
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