Feature: Feriencamp auf dem Mars: Das Geheimnis der Berufs- und Studienorientierung im MINT-Bereich
Die zdi-Netzwerke setzen in NRW während der Sommerferien trotz Pandemie über 300 Ferienkurse um
Düsseldorf (ots)
Sich beruflich im MINT-Bereich zu orientieren, erweist sich für viele Schüler:innen als Herausforderung. Daher bietet "Zukunft durch Innovation" (zdi) erfolgreich seit Jahren Kurse und Veranstaltungen an, um junge Menschen mit MINT-Disziplinen in Kontakt zu bringen.
Eine dünne Rauchschwade steigt von einem der Arbeitsplätze auf. "Fertig", sagt Paula mehr zu sich selbst als zu ihren Teammitgliedern, als sie den Lötkolben vorsichtig ablegt. Während Kai ein paar Meter weiter darauf wartet, dass der 3D-Drucker die ersten Bauteile ausspuckt, streicht er sich immer wieder die langen Haare aus dem Gesicht. Von Kilian, der im Nebenraum Bewegungsabläufe programmiert, sind nur Tippgeräusche zu hören.
Es ist ein warmer Donnerstag an der Käthe-Kollwitz Gesamtschule in Grevenbroich. Es sind Sommerferien, die zweiten während der Corona-Pandemie, daher herrscht Ruhe auf den Pausenhöfen und die Schulgebäude stehen leer. Zumindest fast leer. In den Räumen der Oberstufe tüfteln 15 Schüler:innen der Klassen 7 bis 12 beim Marsroboter Sommercamp des zdi-Netzwerks Rhein-Kreis Neuss an ihren Kreationen. Das Ziel: einen Marsroboter bauen, der beim Finaltag des Wettbewerbs Ende September gegen die Roboter der Gesamtschule an der Erft den Sieg einfährt.
900.000 Euro in Ferienkurse investiert
So wie Paula, Kai und Kilian erleben jedes Jahr mehr als 24.000 Jugendliche in zdi-BSO-MINT-Kursen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik hautnah. Dinge, die im normalen Schulalltag nicht möglich sind oder zu kurz kommen, probieren sie hier aus. Das macht nicht nur Spaß, es hilft ihnen auch die Frage zu beantworten, auf die rund 30 Prozent der Schüler:innen kurz vor ihrem Abschluss noch keine Antwort haben: "Was will ich später einmal werden? In welche Richtung möchte ich gehen?"
Gleichzeitig werden traditionelle Berufsberatungsangebote wenig genutzt. Nur jede:r vierte:r Schüler:in lässt sich beraten und noch weniger finden die Angebote wirklich hilfreich. Umso wichtiger ist es, den Jugendlichen Raum zu geben, ihre Interessen zu entdecken und weiterzuentwickeln. Dabei ist es genau so wichtig, dass die Schüler:innen für sich herausfinden, welche Berufsfelder für sie interessant sind und in welchen sie sich gar nicht vorstellen können zu arbeiten.
Genau das können sie in Angeboten, die durch das Förderprogramm zur vertieften Berufs- und StudienOrientierung, kurz: zdi-BSO-MINT, ermöglicht werden. Durch Kooperationen mit Hochschulen, Forschungsinstituten und Unternehmen bekommen Schüler:innen der 7. bis 13. Klasse detaillierte Einblicke in MINT-Ausbildungs- und -Studiengänge und können Berufsbilder für sich austesten. 2020 fanden trotz der Corona-Situation mehr als 1.800 zdi-BSO-Kurse statt. Trägerinnen des Förderprogramms sind die Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit und das Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW. Sie haben rund 900.000 Euro allein in die über 300 Ferienkurse im Sommer 2021 investiert.
"zdi bietet jungen Menschen Räume zum Experimentieren und zum Erleben", erklärt Klaus Kaiser, der für zdi zuständige Parlamentarischer Staatssekretär im NRW-Wissenschaftsministerium. "Die zdi-Netzwerke wecken die Neugier für MINT-Bereiche auf besondere Weise. Gerade die enge Zusammenarbeit mit Partnern aus Hochschulen, Unternehmen und Kommunen hilft dabei, so viele unterschiedliche Kurse zu realisieren. Das ist einmalig in Deutschland und hat Vorbildcharakter."
Es mangelt an Fachkräften - vor allem im MINT-Bereich
"Die gelbe Lampe leuchtet schwächer als die anderen, vielleicht müssen wir die nochmal neu verlöten", überlegt Paula. "Irgendwas stimmt auch noch nicht mit den Rädern", erwidert Kai. Während die drei sich den Kopf über mögliche Lösungswege zerbrechen, wirft Ferdinand Albert einen prüfenden Blick auf den Code, den Kilian für die Meisterung des Parcours programmiert hat. Zusammen mit seinem Vater Stefan Albert, dem Physiklehrer der Schüler:innen, und dem Techniklehrer Peter Conens betreut er das Sommercamp. Er selbst studiert Informatik, Mathematik und Musik auf Lehramt. Ulrich Thomas, Geschäftsführer der suThom GmbH und Organisator des Sommercamps, ist pensionierter Techniklehrer, Unternehmer und direkter Ansprechpartner für die Teilnehmenden. Er begleitet seit 2012 immer wieder zdi-Kurse.
Wie er unterstützen in ganz NRW Partner:innen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Schule die zdi-Netzwerke und zdi-Schülerlabore. Eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Die einen erfahren, was MINT in der Praxis bedeutet, und lernen neue Berufsfelder kennen. Die anderen stellen sich und ihre Ausbildungs- bzw. Studienangebote vor und kommen in direkten Austausch mit potenziellem MINT-Nachwuchs. Genau nach dem wird in allen Wirtschaftsbranchen händeringend gesucht.
Besonders MINT-Unternehmen beklagen einen Mangel an Fachkräften. Laut einer Prognose des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln werden bis zum Jahr 2031 rund 288.000 MINT-Fachkräfte in Deutschland fehlen. Mehr als 65 Prozent aller deutschen Unternehmen hatten 2020 Probleme IT-Stellen zu besetzten. In Nordrhein-Westfalen fehlen vor allem in den Bereichen Energie- und Elektrotechnik Fachkräfte und Spezialist:innen.
"Die MINT-Disziplinen gewinnen in allen Lebensbereichen zunehmend an Bedeutung", erklärt Torsten Withake, Leiter der Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit. "Daher ist es uns wichtig, jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, sich schon früh in diesen Fächern auszuprobieren, vielleicht eigene MINT-Talente zu entdecken und mögliche Perspektiven für eine berufliche Zukunft kennen zu lernen. Das ist auch ein wichtiger Beitrag zur Fachkräftesicherung in NRW."
Mit MINT was machen!
Von den hohen Erwartungen, die an sie als MINT-Nachwuchs gestellt werden, ahnen die Jugendlichen im Marsroboter Sommercamp nichts. Für sie steht vor allem der Spaß am Bauen, Tüfteln und Experimentieren im Mittelpunkt. Für viele der Mädchen ist besonders ein Bereich des Kurses spannend: "Viele von uns sind eher designaffin. Als wir von der Möglichkeit gehört haben, Design mit dem Bau eines Roboters zu verbinden, haben wir uns sofort angemeldet", erinnert sich Teilnehmerin Laura.
Design, Kunst und Kultur, Psychologie, Linguistik und Musik - alles Fachrichtungen, die man auf den ersten Blick nicht mit MINT in Verbindung bringt. Und doch braucht es Designer:innen, um Smartphones benutzerfreundlich zu machen, Psycholog:innen, um die Interaktion von Mensch und Maschine zu verbessern und Künstler:innen, um Videospielcharakteren Leben einzuhauchen. Diese interdisziplinäre Kombination schaffen vor allem eines: Junge Menschen für MINT zu begeistern, die sich bislang nicht vorstellen konnten, einen Studiengang im MINT-Bereich anzugehen. Nicht umsonst haben zdi-BSO-MINT Kurse, in denen Praxis und nicht Theorie im Vordergrund steht, seit Jahren einen Mädchenanteil von 45 Prozent.
Die Verbindung zwischen MINT und anderen, nicht augenscheinlich verbundenen Fachgebieten fördert zdi seit Anfang 2021 gezielt mit einer Erweiterung der zdi-BSO-MINT-Bausteine. Unter dem Motto "MINTplus" gibt es zusätzliche Fördergelder für Pilotprojekte in fünf interdisziplinären Bereichen. Bei Kursen in Krankenhäusern, Orthopädie- und Prothesenwerkstätten oder Pflegeschulen sollen die Teilnehmenden Einblick in Medizin - und pflegetechnische Berufe erhalten. Durch Angebote, in denen die Teilnehmenden MINT-Kurse für jüngere Schüler:innen konzipieren und umsetzen, soll der MINT-Lehrer:innennachwuchs gefördert und gleichzeitig ein generelles MINT-Interesse geweckt werden.
Auch Projekte, die MINT-Bildung für lernschwache Schüler:innen oder Schüler:innen mit Sprachbarrieren ermöglichen, werden unterstützt. Ein besonderer Fokus von MINTplus ist der Bereich Kunst und Kultur. Hier soll Kreativität mit Digitalisierung und Fertigungstechnik oder mit Handwerk verknüpft werden. Beispielsweise in einem Cosplay-Kurs, in dem Sternenkriegerkostüme genäht und Laserschwerter gebaut werden.
Roboter-Wettkampf: So läuft das Finale
Finaltag in Neuss: Es herrschen sommerliche Temperaturen. Eine leichte Brise weht an der Gesamtschule an der Erft. Paula, Kai und Killian sehen etwas nervös aus. Wird sich die ganze Arbeit, die sie in den Roboter gesteckt haben, bezahlt machen?
Bis zum offiziellen Beginn des Wettbewerbes sind es noch ein paar Stunden. Die drei nutzen die Zeit und gehen mit ihrem Roboter die Parcours ganz detailliert durch. Was klappt ohne Probleme und welche Stellen sind besonders schwierig zu navigieren? Wo muss der Roboter langsam und präzise fahren und wo kann man ein paar Sekunden rausholen? Insgesamt müssen die Teams zwei solcher Parcours meistern. Der größere der beiden wurde in einer Halle aufgebaut. Dort muss der Roboter verschiedene Hindernisse wie Wippen und schräge Böden überwinden. Der zweite Parcours steht draußen vor der Halle. Hier müssen die Teams zusammen mit ihrem Roboter an Hütchen und anderen Hindernissen vorbeifahren.
Teamwork ist angesagt, denn die Hindernisse sind nicht das Einzige, was den Schüler:innen den Weg zum Sieg erschwert. Die Pilot:innen, die den Roboter steuern, bekommen nämlich nur das Bild der eingebauten Kamera im Roboter zu sehen. Nur der Co-Pilot darf am Parcours sein, um dem Pilot Hilfestellung beim Meistern der Hindernisse zu geben.
Drei Durchläufe pro Parcours, drei Chancen die Bestzeit rauszuholen - mehr Versuche haben Paula, Kai und Kilian nicht, bevor die Gewinner:innen verkündet werden. Unter den prüfenden Augen der Jury, die jedes übersehene oder berührtes Hindernis mit Zeitstrafen belegen, sind die Teilnehmenden sichtlich aufgeregt. Es ist spannend, die beiden Schulen leisten sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen bis zum Schluss.
Am Ende hat die ganze Vorbereitung leider nicht gereicht. Platz 1 belegt die Gesamtschule an der Erft. Die Käthe-Kollwitz-Gesamtschule rund um Paula, Killian und Kai war nur wenige Sekunden langsamer. Enttäuscht sind die Jugendlichen trotzdem nicht. "Der Roboter lief gut und flüssig, es gab keinerlei Probleme und es ist auch nichts kaputt gegangen.", berichtet Kai lächelnd. Und die Begeisterung ist so groß, dass das Dreiergespann auch in Zukunft am Thema MINT dran bleiben will.
Infokasten:
MINT-Community NRW: Einfache Registrierung, klare Übersicht
Neben den inhaltlichen Schwerpunkten der Ferienkurse hat auch die Einführung der neuen Community-Plattform, der MINT-Community NRW, zum großen Erfolg beitragen. Mit der MINT-Community NRW wurde die Anmeldung für Kurse und Workshops automatisiert und deutlich vereinfacht. Interessierte konnten und können sich einen schnellen Überblick über das Kursangebot in ihrer Region verschaffen. Über die Plattform kann gezielt nach Datum, Ort und Thema sortiert ein Kurs ausgewählt und gebucht werden. Schüler:innen können sich zum Abschluss ihrer Teilnahme am Kurs zudem einen digitalen Lebenslauf mit einer Kursübersicht und den verdienten Badges erstellen lassen, um dies beispielsweise bei einer zukünftigen Bewerbung zu nutzen.
Pressekontakt:
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