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Berliner Morgenpost: Eine gute Koalition muss sich einpendeln - Leitartikel

Berlin (ots)

Die Stabilität nahezu aller bundesrepublikanischen
Regierungen ist einer Serie von historischen Glücksfällen zu 
verdanken. Ob Adenauer und Erhard, Brandt und Scheel, Kohl und 
Genscher, Schröder und Fischer und zuletzt Merkel und Müntefering - 
oft fanden Persönlichkeiten zueinander, die sich zwar nicht liebten, 
aber vernünftig genug waren, sich auf ein zuverlässiges 
Macht-Arrangement zu verständigen. Ein Minimum an Respekt, das 
gemeinsame Ziel und durchaus auch ein wenig Angst vor dem anderen 
Alphatier sorgten in den vergangenen sechs Jahrzehnten für ein Maß an
Berechenbarkeit, um das die Deutschen von vielen anderen Nationen 
beneidet wurden.
Zu den Grundgesetzen der guten Koalition gehört die verlässliche 
Abrede: Traditionell verabreden Kanzler und Vizekanzler eine Liste 
von Aufgaben für die neue Regierungszeit, definieren 
Kompromisslinien, benennen Unverhandelbares. Gerhard Schröder etwa 
war so klug, den Grünen den Atomausstieg zu überlassen. So war die 
Basis befriedet und bereit, andere Zumutungen wie den Kosovokrieg zu 
ertragen. Derlei Alpha-Abreden bilden das Scharnier jeder Koalition 
und nehmen den Streitereien die grundsätzliche Schärfe.
Das Problem von Merkel, Westerwelle und Seehofer - sie haben dieses 
Arrangement offenbar nie getroffen. Ob HartzIV, Gesundheit 
oder Steuern, auf jedem heiklen Feld demonstrieren die Akteure 
fundamentale Zerrissenheit; von zuverlässiger Partnerschaft keine 
Spur. Das gemeinschaftliche Grinsen für die Kameras, das Kanzlerin 
und Vize diese Woche im Bundestag aufführten, demonstrierte nicht nur
die schauspielerischen Schwächen, sondern hatte zugleich etwas 
Bizarr-Gespenstisches. Peinlicher ist selten demonstriert worden, wie
weit zwei Menschen voneinander entfernt sind.
Wäre Guido Westerwelle eine Stereoanlage, hätte Angela Merkel längst 
die Lautstärke reduziert, die Höhen gekappt und die Balance justiert.
Im Alltag allerdings hat die mächtigste Frau der Republik kaum 
Instrumente, den schrillen Ego-Shooter einzubremsen. Ähnlich verhält 
es sich mit CSU-Chef Horst Seehofer: Als Bayer ohnehin auf 
Extratouren gepolt, wird er schon bald den nächsten Torpedo auf 
Berlin richten. Die Hoffnung, dass nach der NRW-Wahl alles besser 
werde, ist leichtfertig. Rettet sich Schwarz-Gelb, wird Westerwelle 
vor Kraft nicht laufen können; kommt es zu Schwarz-Grün, droht ihm 
ernster Ärger in seiner FDP.
Diese schwarz-gelbe Koalition leidet an einem schweren Geburtsfehler:
Die Anführer passen weder kulturell noch persönlich zusammen, sie 
können sich weder auf gemeinsame Ziele noch auf verlässliche 
Absprachen einigen, sie sind offenbar nicht einmal bereit, ihre 
jeweiligen Eitelkeiten zugunsten einer wie auch immer gearteten 
gemeinsamen Sache zurückzustellen. Eine gute Koalition ist wie ein 
Mobile - sorgsam austariert, um sich auch bei stärkeren 
Erschütterungen immer wieder einzupendeln. Angela Merkel steht vor 
der spannenden Aufgabe, in den kommenden dreieinhalb Jahren ein 
Macht-Mobile aus Betonköpfen zu basteln.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

Original-Content von: BERLINER MORGENPOST, übermittelt durch news aktuell

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