Alarmsignal für Wähler/die Wahlentscheidung des Bundestages kann zum Bumerang werden
Berlin (ots)
Jetzt ist das Desaster amtlich: In Berlin muss die Bundestagswahl in 431 von insgesamt 2257 Wahlbezirken wiederholt werden. So will es die Bundestagsmehrheit der Ampelparteien und zieht damit Konsequenzen aus einem schwarzen Tag der deutschen Demokratie. Fast vierzig Millionen Euro wird den Steuerzahler eine historische Schlamperei kosten - und die Landeswahlleiterin kostete sie zu Recht das Amt. Lange Warteschlangen vor Wahllokalen, Stimmabgabe nach 18 Uhr, fehlende Blanko-Stimmzettel, Kuriere, die im Marathon-Chaos stecken blieben und Kopierer, die rechtswidrig Stimmzettel vervielfältigten - was am Abend des 26. Septembers 2021 an Nachrichten aus Berlin drang, klang nach Wahlchaos in einem Schwellenland und nicht nach einer Bundestagswahl in der deutschen Hauptstadt. Internationale Wahlbeobachter, die Deutschland gerne in ferne Länder entsendet, hätten Schnappatmung bekommen. Völlig zu Recht hat der Bundeswahlleiter nach den Protesten frustrierter Bürger ein "komplettes systematisches Versagen der Wahlorganisation" in Berlin gesehen und seinen Einspruch gegen die Wahl eingelegt. Die jetzt beschlossene Wahlwiederholung ist nicht einfach eine Lappalie, die man als den üblichen Berliner Schlendrian abtun kann. Ein acht Jahre zu spät fertiggestellter Hauptstadt-Flughafen ist ein Planungsdrama, aber nicht grundsätzlich demokratiegefährdend. Im Versagen bei der Bundestagswahl 2021 liegt der Fall anders. Wenn der Staat unfähig ist, Bundestagswahlen korrekt durchzuführen, muss uns das alarmieren. Denn es gibt nichts Kostbareres in unserer Gesellschaft als das Urvertrauen der Menschen in die Demokratie und ihre verfassungsmäßigen Regeln. Das gilt besonders in Zeiten, in denen immer mehr Menschen mit dem Staat und seinen Vorgaben hadern. Daher ist die über jeden Zweifel erhabene Wiederholung der Abstimmung das Mindeste, was Wählerinnen und Wähler nach diesem chaotischen Abend in Berlin erwarten dürfen.Das, was jetzt im Bundestag beschlossen wurde, könnte allerdings zu einem Bumerang mit gravierenden Spätfolgen werden. Denn es war politisch nicht klug von den Ampel-Parteien, die Wahlwiederholung jetzt als "kleine Lösung" gegen die Stimmen und Bedenken von Union und AfD mit der Regierungsmehrheit durchzudrücken. Bei berechtigtem Zweifel an einem demokratischen Verfahren hätte man besser alle Volksvertreter hinter einer Neuwahllösung gehabt, statt nur die Nötigsten. Es entsteht der Anschein, man könnte die eigene, vielleicht möglichst günstige, Ausgangssituation wichtiger nehmen als eine maximal saubere Lösung. So bleiben Streit, Misstrauen und Klagen zurück und nähren beim Bürger ohne Not Zweifel an dem ganzen Verfahren. Es ist sehr gut möglich, dass das Verfassungsgericht die beschlossene Lösung wieder kassiert. Beim Thema Wahlrecht dürfte der juristische Spielraum der Verfassungshüter in Karlsruhe gegen Null tendieren. Gleich mehrere Abgeordnete haben Klagen bei Deutschlands höchstem Gericht angekündigt.Sind sie beim Bundesverfassungsgericht tatsächlich erfolgreich, verschiebt sich eine juristisch wasserdichte Wahlwiederholung auf den Sankt-Nimmerleinstag. Dann hätte der Bundestag mit seinem Beschluss alles nur verschlimmbessert - und das Vertrauen in die Demokratie wäre nicht nur einmal, sondern gleich doppelt beschädigt.
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