"phoenix persönlich": Soziologe Prof. Andreas Reckwitz zu Gast bei Theo Koll - Samstag, 12.04.2025, 0:00 Uhr
Bonn (ots)
In der Sendung "phoenix persönlich" spricht Theo Koll mit dem Soziologen Andreas Reckwitz über die Verlusterfahrungen unserer Gesellschaft, das Ende der Gewissheiten, den Aufstieg des Populismus und die Gefahren für die Demokratie.
"Wir erleben ja im Moment, in der Gegenwart eine ganze Reihe von Verlusterfahrungen", sagt der Soziologe und Kulturwissenschaftler Andreas Reckwitz und nennt u.a. das "Ende des Westens, wie wir ihn kannten", etwas, das von der Trump-Regierung nochmal forciert werde. "Die Erosion einer Weltordnung, die vom Westen dominiert ist, das ist ein zentraler Prozess der letzten Jahre. Also auch mit dem Aufstieg Chinas, auch mit der aggressiven Politik Russlands und nun aber auch quasi eine Erosion des Westens selber. Das ist, denke ich, das, wofür auch Trump steht, dass die europäisch-amerikanische Sicherheitsarchitektur erodiert." Und Reckwitz erwähnt ebenso das Ende der Handelsfreiheit, "der Globalisierung wie wir sie seit den 90er Jahren kennen", deren Ende nun durch die USA forciert werde.
In den vergangenen zehn Jahren habe es "verschiedene Einschläge" gegeben, so Reckwitz, die eigentlich nicht in das "westlich-liberale Fortschrittsnarrativ" hineingepasst hätten. Reckwitz nennt beispielsweise den Brexit, die erste Wahl von Donald Trump, Russlands Angriff auf die Ukraine und den Aufstieg des Populismus, viele Dinge, die auch bei ihm persönlich zu einer "Ernüchterung" und "Desillusionierung" geführt hätten: "Wir sehen, dass es zu einfach wäre, davon auszugehen, dass es also eine eindeutige Fortschrittsentwicklung gibt." Zwar hätten die modernen Gesellschaften immer auch Verlusterfahrungen erlebt, aber Verluste seien sozusagen ein Grundbestandteil überhaupt des Menschseins, erklärt Reckwitz. Gleichzeitig lebe die Moderne von einem Fortschrittsversprechen: "Man glaubt, dass die Zukunft eine Verbesserung gegenüber der Gegenwart darstellt." Und man erwarte von der Politik, dass sie die Lebensbedingungen verbessere.
Nun verliere die westliche Moderne ihre Dominanz weltweit und implodiere sogar in ihrer inneren Struktur, konstatiert Reckwitz: "Das ist neu. Und das verunsichert natürlich massiv."
Der Aufstieg des Populismus - ob in den USA, Frankreich oder Deutschland - sei ein Symptom dafür, dass es eine massive Unzufriedenheit in Teilen der Bevölkerung gebe, so Reckwitz, eine Unzufriedenheit auch darüber, dass das Fortschrittsversprechen nicht mehr funktioniere. Die sogenannten Modernisierungsverlierer hätten bereits durch die Deindustrialisierung Verluste erlebt. Und es gebe Ängste, dass man in der Zukunft Verluste erleiden könne. Profitieren würde der Populismus. "Der Populismus ist ja deswegen auch so erfolgreich, weil er ja sehr effektiv, gerade mit den Verlustängsten spielt. Also, man könnte sagen, Populismus ist Verlustunternehmertum."
Verlusterfahrungen könnten auch dazu führen, dass Menschen verbittern, dass sie sehr wütend werden, sagt Reckwitz: "Das erleben wir ja alles." Wichtig sei, dass die liberale Demokratie für viele Menschen kein Wert an sich sei, sie sei vielmehr "ein Mittel zum Zweck". Sie solle Verbesserungen liefern: "Das hat sie ja eigentlich auch versprochen bei der Französischen Revolution, Verbesserungen der Lebensbedingungen für die Bevölkerung. Und wenn das nicht mehr der Fall ist, dann kann die Demokratie, denke ich, ein Legitimationsproblem bekommen."
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