Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Berliner Stadtschloss
Bielefeld (ots)
In der Bundesrepublik leben 951 200 Millionäre. 80 Millionen Euro der Baukosten des Berliner Stadtschlosses sollen von privaten Spendern kommen. Taschenrechner raus: Hätte jeder deutsche Millionär 84 Euro und 11 Cent gespendet, könnten all die Putten und Ranken und Arabesken und Pilastergruppen für die barocke Fassade gleich jetzt beim Steinmetz bestellt werden. Zeit in Hülle und Fülle hatte man ja: Der Wiederaufbaubeschluss des Bundestags datiert vom 4. Juli 2002. Die 84,11 Euro pro Millionär wären ein Indiz für die »Herzensangelegenheit« gewesen, die das Schloss allen Deutschen ist, wie der Bauherr behauptet. In Wahrheit schämt man sich, die in neun langen Jahren gesammelte Spendensumme exakt zu beziffern. Zehn Millionen? 26 Millionen? 20 Prozent von 80 Millionen? Herzensangelegenheit? Als gestern der Grundstein für das symbolische Herz nicht nur der Hauptstadt, sondern gleich der ganzen wiedervereinigten Republik gelegt wurde, traf sich Kanzlerin Angel Merkel mit Lobbyisten der Wasser- und Energiewirtschaft. Deutlicher kann die nationale Politik kaum kundtun, wie egal ihr das Schloss ist. Dazu passt, dass in der Diskussion die Fassade (Barock) meistens wichtiger war als der Inhalt (Humboldt-Forum). Irgendwas mit Barock geht immer, findet Berlins traditionsorientiertes Bürgertum. Die hauptstädtische Avantgarde wiederum ist damit gar nicht einverstanden, sie hätte lieber etwas aus Glas und Beton - das flimmert so schön, so modern. Schließlich aber musste man sich dann doch um Inhalte kümmern: Irgendwas mit Preußen geht immer, dozierten die einen. Weil aber das überraschend moderne Preußen vor 200, 300 Jahren sammelte (und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz 2019 im Schloss präsentieren will), was schon vor 200, 300 Jahren multikulti war, dürfen sich jetzt die anderen auf Inka-Keramik und Südsee-Einbaum freuen. Die Pfähle im schlickigen Untergrund der Spree sind eingerammt, Bundespräsident Joachim Gauck hat den Grundstein festgeklopft, die Baulücke wird geschlossen, bald ist Berlins Mitte komplett. Die kalkulierten Baukosten in Höhe von 590 Millionen Euro sind dafür sicher nicht zuviel, aber ebenso sicher auch nicht das letzte Wort. Doch sprechen wir nicht über Geld. Sprechen wir über die Fassade: Die Moderne hatte ihre Chance - leider ließ sie den Bürger mit seinem Wunsch nach malerischer Schönheit allzuoft allein. Jetzt soll die Architektur der Historie ruhig wieder ein paar jener Rechte zuerkennen, die ihr die Betonkubisten vor Jahrzehnten abgesprochen haben. Sprechen wir über Inhalte: Vis-à-vis der Museumsinsel, auf der die Besucher in klassischer Ästhetik schwelgen dürfen, entsteht mit dem Humboldt-Forum ein Schaufenster in die Welt. Es wird so international wie die Millionen Gäste, die sich künftig in Berlins Mitte einladen lassen. Und das ist auch gut so.
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